
Mit gemischten Gefühlen flog ich dieses Jahr nach Athen und um ehrlich zu sein wollte ich gar nicht erst starten...
Der Spartathlon ist in meinen Augen das größte Rennen was ein Ultraläufer in seinem Leben erreichen kann. Warum? Es ist nicht nur die Distanz, es ist diese unmenschliche Strecke, die harten Cut Off Zeiten und die Bedingungen mit bis zu 40 Grad in der Sonne oder 12 Grad kühl mit Regen und Wind. 246km zu laufen ist schon utopisch. Es aber in unter 36h zu tun und ständig die Uhr dabei im Nacken zu haben ist nochmal was ganz anderes. Seit 2015 hatte ich den Gedanken daran mich dafür zu qualifizieren und scheiterte damit in Dettenhausen beim 24h Lauf wo es mir nicht gelang, die 180km zu erreichen. 2016 konzentrierte ich mich dann erst mal auf Marathon unter 3h, da ich in Wien im April 2016 ja 20 Sekunden über der 3h Marke war. 2017 der Deutschlandlauf und im Kopf immer dieser Spartathlon. Sich da zu qualifizieren und starten zu dürfen. 2018 dann der erste Start und sogar drei Qualifikationen hätte ich gehabt und ich musste bei 221km aussteigen. 2019 mit großer Hoffnung, da ich ja fast angekommen war erneut am Start und bei 80km raus, da mir Hitzeerfahrung fehlte und ich fälschlicherweise Krämpfe im Rennen mit Magnesium statt Salz behandelt habe. Ein Unding das bei Events heute immer noch verkauft wird da zu glauben, Krämpfe im Rennen deuten auf Magnesium Mangel hin. Das ist ein Problem von Salz und Dehydrierung. COVID19 kam, ein Start 2020 war nicht möglich. 2021 zollte ich der Impfung Tribut, die mir meine bis dorthin erreichte Leistung raubte und durch die ich nie wieder bis jetzt an diese herangekommen bin. Ich bin gut aber ich weiß nicht ob ich nochmal an die Leistung aus 2018 heran kommen kann. Jedenfalls war bei 140km als Letzter im Rennen hier Schluss. 2022 dann mit neuem Trainer Florian Reus und um einige Erfahrungen reicher erneut beim Spartathlon am Start und bei 195km, 2min vor Cut off raus. Die Hitze killte mich am ersten Tag so, dass ich mich in der Nacht nicht davon erholen konnte. In der Nacht waren es immer noch um die 21 Grad und ich lief auf Messers Schneide am Cut off, der mich dann bei 195km schließlich ausknipste. Blöde Sprüche wie "man muss nur wollen" und "ich kann nicht aufhören und kam deshalb an" oder Ähnliches durfte ich mir anhören. Insofern Quatsch, weil man 2min vor Cut off bei 195km nicht mehr ankommen kann! Es sei denn, man würde jetzt laufen können. Es reichen 7:20min/km aber wenn man das ab dann könnte, hätte man es ja vorher schon getan. Zudem kommen noch einige Höhenmeter jetzt und das bei knapp 40 Grad mit hoher Luftfeuchtigkeit. Da muss der Körper mitspielen, sonst ist Feierabend. 2023 hatte ich meine Leistung wieder recht gut hergestellt und wäre perfekt vorbereitet gewesen, bekam aber keinen Startplatz und lief stattdessen in Tulln meine bis heutige 100 Meilen Bestzeit. 2024 wieder bei km 140 raus, da mich auch hier die Hitze lahm legte und ich nicht in der Lage war, härter zu laufen um eben in der Zeit zu bleiben.
Zeit, Nerven, Geld und Arbeit durfte ich investieren und blöde Sprüche von Kollegen, Freunden und Familie ertragen. Besserwisserei, Lästerei, man machte sich sogar über mich lustig. Ich habe über alle Rennen berichtet, habe meine Rennen analysiert und mich immer gefragt, wo die Fehler sind und was ich ändern muss. Bin ich zu blöd, nicht mehr gut genug? Soll es nicht sein? Ich wusste es langsam nicht mehr. Ich bin aber einer, der das was er anfängt abschließen will. Wenn etwas sinnlos oder aussichtslos wird, kann ich das nicht ändern und sehe das auch ein. Aber ist da nur ein Funken Hoffnung, dann wird weiter daran gearbeitet. Mich verließ nach 2024 langsam der Mut und ich machte mir klar, mein Hauptproblem ist und bleibt die Hitze. Ich werde nie ein Hitzeläufer sein. Ich kann bei Hitze zwar laufen, bin aber enorm langsam. Fraglich ist, kann ich mich so gut vorbereiten, dass es mir reicht beim Spartathlon ankommen zu können? Meinetwegen in 35:59h aber Hauptsache ein Finish! Ich weiß das ich es kann, ich weiß das ich es will, ich habe in meinen vergangenen Rennen bislang bewiesen was in mir steckt, war zweimal fast da - das muss doch machbar sein oder nicht?
Ich fasste einen Entschluss: Ich würde 2025 verstärkt mit der Hitze arbeiten. Ich trainierte mit dem Spinningrad in der Sauna, nutzte jeden Tag bei 35 Grad und mehr aus um draußen zu trainieren und beschloss, eine Woche eher anzureisen und in Glyfada zu trainieren. Klar läuft man da keine super langen Strecken mehr, aber es geht drum, sich ans Klima zu gewöhnen, die über 30 Grad hier zu ertragen und dann bleibt nur zu hoffen, dass es reicht. Noch mehr lange Läufe und marschieren, marschieren und laufen im Wechsel und den kompletten Fokus auf Sparta legen. So quälte ich mich und meine Umwelt, vor allem meine liebe Freundin Christiane mit diesem Thema und auf einmal war der September da, der Abflugtag nahte und meine Angst und Unsicherheit wuchs. Die Vorbereitungsrennen liefen nicht optimal und ich konnte mich nur damit beruhigen, dass an jedem Rennen die Karten immer neu gemischt werden und meine Bestleistung dieses Jahr somit einfach noch nicht abgerufen wurde. Folglich kein schlechtes Zeichen. Aber was, wenn es wieder nix wird? Ich kann und will diese Schmach dieses Jahr einfach nicht ertragen müssen. Ich wusste jedoch realistisch, dass das immer passieren kann. Egal ob du hier schon neinmal angekommen bist oder nicht. Am Tag X stehen wir alle wieder vor derselben Herausforderung und keiner weiß im Vorfeld wie das endet. Hat man allerdings schon mal gefinisht, ist das Resultat leichter zu ertragen. In Athen angekommen, war ich jeden Tag mental im Stress. Ich konnte den Urlaub im Vorfeld nicht richtig genießen. Ich ging zwar mit Christiane an den Strand, fuhr sogar mal Wakeboard. Das machte Spaß, aber immer kreisten meine Gedanken um den Spartathlon. Gut, darum bin ich ja auch hier! Aber dennoch sollte ich mich ja eigentlich freuen! Ich habe ein Jahr gehofft gesund und fit zu bleiben, starten zu dürfen und einen Startplatz zu haben und jetzt habe ich das und will mich am liebsten verkriechen wie ne Pussy und nicht wie ein Brave Heart an den Start gehen. Ich ließ die Tage ziehen, machte einfach nur meine Arbeit. Ich blieb in der Trainingsroutine und spulte mein Programm ab Tag für Tag. Ich trainierte in der griechischen Mittagshitze, ernährte mich gut, ruhte mich aus und wartete drauf meine Startunterlagen abholen zu können. Das Hotel gewechselt, Unterlagen abgeholt und jetzt wurde die Anspannung und auch die Sorgen unerträglich. Ich wollte das hinter mich bringen besser heute als morgen und einerseits im Vorfeld gern wissen, wie es ausgeht, andererseits dann lieber doch nicht. Ich allein hatte es in der Hand. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und ob es für den Test reicht, wird sich zeigen.
"Ich gebe dir meine ganze Liebe mit auf den Track, bin in Gedanken bei dir und wir sehen uns morgen Abend am Ortseingang in Sparta!" Die Worte meiner treuen Freundin Christiane die mich von nun an ab dem Start, wo sie mir diese Worte sagte, begleiteten. "Jetzt probiert's halt" war dann mein Entschluss und das Rennen ging los. Leben davor, egal. Leben danach, egal. Was zählt ist dieser Job hier. Abarbeiten der Verpflegungspunkte, rechtzeitig zu reagieren was der Körper brauch, keine Fehler machen, nichts dem Zufall überlassen und sich klar machen: Der Spartathlon stellt dir ständig Fragen. Hast du die Antworten darauf? Ich hatte meinen Werkzeugkoffer gut gepackt und war für jede Schweinerei gerüstet. Einzige Sorge, die Hitze und ob ich genügend Eis auf der Strecke kriegen würde. Ich bin ohne Support unterwegs und werde nicht von A bis Z wie andere gepempert. Nahrung, Kleidung, Ausrüstung, kann ich alles hinterlegen und einsammeln. Eis aber nicht. Ist keines da, dann ist eben keines da. Liquid Ice Spray habe ich zur Not hinterlegt was immerhin besser als nichts ist. Ich habe also alles vorbereitet was ich konnte. Der Rest ist Schicksal. Dieses Jahr sollte es nur am ersten Tag heiß werden und dazu noch nicht einmal richtig heiß. Hier sind zwischen 30 und 40 Grad üblich. Dieses Mal sollten es „nur“ 28 Grad sein, was auch noch genug war, aber dennoch was anderes ist. Am zweiten Tag dann sollte es sogar abkühlen und regnen. Mir war klar, wenn ich es heute nicht schaffe, schaffe ich das hier nie. Besser können die Bedingungen nicht sein und wie gesagt ein Quäntchen Glück muss man bei so einem Rennen mit der Distanz von 246km und über 1,5 Tagen ohne Schlaf einfach haben. Glück, dass an jedem Verpflegungspunkt Eis ist, der Magen hält und die Versorgung stimmt und man zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen trifft. Glück und Erfahrung braucht es schon, können und wollen muss man es freilich auch. Dazu kommt noch, dass auch körperlich alles stimmt. Wenn da was nicht hält, Kreislaufprobleme nicht in den Griff zu bekommen sind oder Verletzungen am Bewegungsapparat auftreten, kann es das schon gewesen sein.
So lief es die ersten 80km bis Korinth für mich wirklich gut und gerade durch dieses Nadelöhr muss man ja durch, da man hier in 9h30min durchkommen muss und ab dann der Spartathlon eigentlich erst beginnt. Das erste Drittel ist erledigt. Die Cut off Zeiten werden jetzt zwar etwas lockerer, verschlafen darf man aber nichts. In Korinth konnte ich die Tränen nicht halten, freute mich und dachte daran wie es sein würde, wenn es heute passiert und ich ankommen könnte. Dafür war es freilich noch viel zu früh. Bei gerade mal 80km an ein Finish zu denken ist viel zu früh. Jetzt ging es erst mal drum gut in die Nacht zu kommen und bis 140km Zeit gut zu machen, dass es reicht, um bei 160km über den Sangas Pass zu kommen. Dieser 1000m hohe Berg, den man über ein Gelände rauf und wieder runter muss in das man nicht mal einen Hund schicken würde, frisst nämlich Zeit. Dann muss man schauen, dass man diese 173km in 24h30min erreicht um nicht rauszufallen. So baute ich mir im Vorfeld meine Rennstrategie auf und arbeitete sie ab und freute mich über jede erreichte Etappe. Ich hatte keinen Support und keine Schmerzmittel aber diesmal ein Handy dabei. Normal nehme ich keines mit. Ich dachte mir, den Luxus gönn ich mir, bei dem was andere da alles haben und außerdem kann ja immer was passieren. Die Nacht begann erst einmal recht ruhig und auch wenige Hunde störten meinen Weg. Mein Magen begann etwas Stress zu machen und die übliche Versorgung funktionierte diesmal einfach nicht. Normal habe ich Hunger, wenn es kühler wird. Ich bekam meine Kohlehydratgels von Maurten zwar rein und auch den Drink Mix 320, wovon ich mir 18 Flaschen zu je 500ml hinterlegt hatte. Ich hatte aber nicht recht Lust auf feste Nahrung. Ich aß ein paar Gabeln Spaghetti mit Parmesan, aber ganz schaffte ich sie nicht. Dann versuchte ich es mit ein paar Löffel Chili etwa bei 130km, aber auch das wollte mir nicht recht schmecken. Die Übelkeit kam auf und ich musste überlegen, was ich dagegen tun kann. Stimmte mein Salzhaushalt oder war es gar zu viel? Ging das mit den Kohlehydraten so weiter und wie ist es mit den Elektrolyten? Weniger ist mehr. Ausreichend trinken aber nicht saufen, Nahrung auf das Nötigste reduzieren, Lauftempo anpassen, das zu dem Zeitpunkt immerhin noch in 6:30min/km möglich war, wenn auch mit Gehpausen dazwischen. Diese wurden stetig mehr und je länger man gehen musste, desto schwerer wurde es wieder ins Lauftempo zu finden. Das kenne ich, es war zu erwarten und es ist schwer.
Würde ich genug Cut off Zeit aufbauen können, um überhaupt den Sangas Pass zu erreichen oder nicht? Es sah bei 140km noch wirklich gut aus und so schob ich mich weiter und weiter vorwärts. Ich hatte meine Liste auf der stand, wo was hinterlegt ist und ich hatte bei 100km tatsächlich das Problem, fast meinen Beutel nicht zu bekommen. Die Griechen verstanden mich nicht und ich blindes Huhn sah meinen Beutel nicht. Der war überlebenswichtig, da sich dort drin meine Lampe samt Akku befand und auch die Ersatzlampe. Ohne diese, kannst aufgeben und kommst nie über den Pass. Da ist es stockdunkel. Immer wieder baute ich so ein bisschen Mist. Einmal verlor ich ein wichtiges Kohlehydrat Gel, dann verpackte ich meinen Gefierbeutel für das Eis so gut, dass ich ihn nicht mehr wieder fand. Ich schimpfte mit mir selbst, mich besser zu organisieren und mir klar zu machen was ich wo hin tat. Ich durfte nichts verlieren. Ich verlor jedoch meinen Löffel und wie soll ich da das Chili jetzt essen? In den Mund schütten gibt eine Sauerei und ich will nicht voll mit Chili weiterlaufen müssen. Die Hunde die mir begegnen finden mich dann evtl. auch lecker. Na wie dem auch sei, blöd war das schon. Ich bekam von den Griechen einen Holzlöffel und das sind halt diese Kleinigkeiten. Bekommt man so einen Löffel ist das ja schön aber wenn nicht und wenn eine Improvisation nicht möglich ist, hat man ein Problem. Endlich kam dieser verdammte Berg und es sollte mit dem Aufstieg los gehen. Mit diesem Aufstieg kam aber auch starker Regen auf. Ich konnte kaum glauben, dass die uns nach 160km in den Beinen wirklich da hoch schickten, aber es ist genau so. Geröll, kleine Felsbrocken, rutschig bei Regen und steil. Fast auf allen Vieren klettert man da hoch und das, obwohl man sich eh schon kaum noch auf den Beinen halten kann. Für mich mit meiner Behinderung eine Herausforderung. Ich musste ja zum einen schauen wo ich lang musste und war zu dem Zeitpunkt vorerst alleine. Dann die Trittsicherheit. Jeder Schritt muss hier sitzen. Stürzt du ab, ist es vorbei. Von hinten krabbelten jetzt zwei Läufer auf und ich ließ sie vorbei. Es stresste mich das sie mir zu nah kamen und sie waren eben auch etwas schneller. Die Masse an Menschen sind da ja nicht mehr. Entweder sind sie schon über den Pass oder draußen. Oder sie kommen halt später. Oben angekommen nahm ich kurz eine Cola zu mir, holte einen Stein aus dem Schuh und begab mich sofort nach unten. Nebel, Wind, Regen, machten den Aufenthalt hier nicht nur ungemütlich sondern gefährlich, man kühlt schnell aus. Zudem muss man ja schauen, die 173km in der geforderten Cut off Zeit zu erreichen, sonst wird man unten angekommen aus dem Rennen genommen. Der Berg heißt Sangas Pass und ist kein Sanga Spass. Wir sind mal bei Tag angereist um uns diesen mal im Hellen anschauen zu können. Normal erlebt den jeder Läufer nur in voller Dunkelheit.
Ich war immer noch in kurzen Klamotten und wollte mich erst einmal nicht umziehen. Es regnete weiter und stärker. Nachdem ich unten war, protestierten meine Knie und meine Erfahrung sagte mir, das ist wegen der Auskühlung und evtl. auch Unterversorgung der Gelenke. 80g Kohlehydrate rein, ein Schluck Wasser und am nächsten VP die langen Salomonklamotten an. Die Unterhose wurde nass und ich scheuerte mich wund zwischen den Beinen. Also auf der Strecke die Hose runter, das Ganze mit Hirschtalg notdürftig versorgt, am nächsten VP die Hose und Jacke drüber gezogen und da diese Kleidung wasserdicht war, wurde ich relativ schnell wieder warm und trocken, da auch der Regen stoppte. Dennoch entschloss ich mich die langen Klamotten anzubehalten. Umziehen kostet Zeit und zudem kann es ja gleich wieder zu regnen anfangen.
Ich freute mich das ich vom Berg runter war, immer noch leicht laufen konnte und es noch dunkel war. Ich durfte folglich weiter und sah den „Todesbus“ nur an mir vorbei fahren. Er sollte mich jetzt nicht stören, denn ich war über die 173km drüber und hechelte den 200km entgegen. Diese sollen in 29h passiert werden. Wenn es mir gelingen würde sie in 28h zu kriegen, hätte ich 8h für 46km! Selbst in 29h sind es ja noch 7h für 46km und das alles klingt machbar. Natürlich zweifelte ich oft auf der Strecke ob ich überhaupt je den Sangas Pass sehen würde, drüber komme und vor allem dann noch schnell genug sei um der Cut off Zeit wegzulaufen. Ich hatte jedenfalls für die letzten knapp 30km noch 5h Zeit. Dennoch wurde mein Tempo jetzt zunehmend langsamer. Das Wetter war frisch, aber es fiel mir schwer. Ich entschied mich aufgrund des unbeständigen Wetters doch dazu, den Rucksack als es hell wurde nicht herzugeben. Die Lampen und schweren Akkus ja, nicht aber den Rucksack. Ich zog mich im Hellen wieder um und lief wieder in kurzer Hose und Shirt. Die nächsten 25km ging es nun bergauf und meine bisher aufgebaute Cut off Zeit von 1h30min schwand Stück für Stück dahin. Diese Anstiege nach über 200km und diesem Berg in den Beinen konnte ich nur noch stramm marschieren. Es ging da ziemlich rauf, teilweise wieder etwas flacher und dann wieder rauf. Als ich bei 221km angekommen bin musste ich mir erst mal klar machen, dass ich heute hier nicht aussteigen werde. „Ich will deinen GPS Tracker haben“ meinte da ein Grieche und ich erschrak. Ich protestierte ihm diesen nicht zu geben, ich sei gut in der Zeit und er solle seine Uhr checken. Der wollte diesen jedoch nur tauschen. Sollten es Zuschauer zu Hause die mich über das Internet getrackt haben besser wissen, ich habe heute nicht mehr jeden Kilometer oder Punkt wo ich was getan habe genau im Kopf. Raum, Zeit, Wahrnehmung verschieben sich bei über 36h unter Belastung ebenso, wie man die ein oder andere Halozination haben kann, mal kurz schwankt, der Kreislauf sich meldet oder man Dinge hört die nicht da sind. Man weiß auch nicht mehr unbedingt was man wo hingelegt hat. Dafür hat man aber seine Liste dabei und muss wissen wo man diese verstaut hat. Auch wichtige Gegenstände abzuwerfen die man eigentlich brauch kann einem passieren. Ich habe das 2022 getan und somit habe ich mein Rennen selbst zerstört und musste raus. Kein Finish, bitter und unnötig bei bereits gelaufenen 195km. Auch Überlegungen man sei zu langsam und könne jetzt aufhören oder man will unbedingt jetzt aufhören weil es reicht, kommen vor. Wenn du beim Spartathlon aussteigen willst und das wirklich willst, denke nochmal 5 - 10km weiter drüber nach ob du das WIRKLICH willst. Wenn du dann immer noch willst, geh. Meist willst du dann aber nicht mhr und bleibst. Hast du ein gesundheitliches Problem wirst du es merken wenn du deinen Körper kennst und es ist vorbei. Ich weiß von was ich rede. Wenn du ab 225km bergab laufen musst, was zwar auch weh tut, du aber das Ziel in Reichweite siehst, der Kopf anfängt zu singen, dann siehst du wieder Land und willst weiter.
Ich konnte jedoch nicht mehr „laufen“ und wenn man 10:30min/km bergab überhaupt noch als irgendwas wie laufen oder gehen bezeichnen kann, war es jetzt das einzige was ich noch tun konnte. Wenn man jetzt rechnen kann wird man sich ausrechnen können, dass das so mit 36h nicht reichen wird. Ich musste also irgendwie schneller werden. Die Verpflegungspunkte kamen einem von der Entfernung her immer weiter auseinander vor, die Kilometer wollten nicht mehr enden. Ich hatte das Gefühl nicht vorwärts zu kommen und ob ich überhaupt heute nochmal ankomme, keine Ahnung. Das löst Verzweiflung aus. Es löst auch Wut aus, weil man all das jetzt eingesetzt hat um jetzt nicht, oder nicht rechtzeitig anzukommen. Man muss diesen Kopf stoppen oder ihm andere Gedanken einplanzen, sonst legt es einen lahm. „Ich schicke dir all meine Liebe....“ Ok, das half. Wo würde mein Mädchen sein? Am Ortseingang von Sparta. Wie weit ist dieser noch weg? 15km! 15 verdammte Kilometer! Das ist Nichts! Das ist nicht einmal eine richtige Trainingsdistanz! Das ist ein Tempotraining vielleicht oder eine mittlere Einheit. 15km vor Sparta und du willst ernsthaft jetzt raus? 3h hatte ich noch Zeit dafür. Das ist machbar, aber knapp.
Der Kreislauf meldete sich und ich hatte das Gefühl in einer Glasglucke zu laufen. Ich war irgendwie da und nicht da, tat was zu tun war, hielt kaum an und wollte nur, dass das hier endet. „Aber der Triumpf wenn du da bist, wenn du da erst mal bist...“ Immer wieder setzte ich das dagegen. Wenn ich nicht mehr konnte „Aber der Triumpf – meine ganze Liebe“ Und mein Freund Robert sagte mir im Vorfeld "Du weißt das du es schaffen tust!" Holger sagte mir "Du Harald, wenn du nicht mehr weiter weißt ruf mich an, ich trete dir in den Arsch. Ich rief Holger bei ca. 220km an und meinte "Holger ich kann nicht mehr, das tut so weh." Holger's Antwort drauf: "Du Harald, der Spartathlon tut weh, das passt!" Er versicherte mir auch das es mir reicht mit 10min/km weiterzumachen. Aber 10:30min/km so weiterzulaufen, das ging nicht. 12km bis Sparta, meine Zeit schwand und schwand und ich wusste mir verdammt noch mal nicht zu helfen. Ich musste gefühlt jeden km urinieren und es war mir dabei echt egal, das da mitten auf dieser Schnellstraße zu tun. Egal was ich trank das Zeug wollte im nächsten Augenblick wieder raus. Essen konnte ich nicht. Ich aß maximal ein Stück Banane, nahm eine Handvoll Nüsse oder einen Cracker und saß mich für ein paar Sekunden bei dem ein oder anderen Checkpoint hin, wenn ich ein Dropbag hinterlegt hatte, um mich zu sortieren. Ab dem 72. VP hatte ich nur noch Christiane, das Ziel, die Uhr im Blick. Ich hörte meinem Körper zu und achtete nur auf die Signale die wichtig waren. Nahrung, Salz, Klo, Körperfunktion. Wieder kam Wind auf und wieder wurde es kühl. Ich zitterte. Ich zog die lange Kleidung noch einmal an und jetzt entschloss ich mich, diese auch an zu lassen. Dann ist es halt warm, egal.
Es ging bergab und bergab und bergab und es wollte nicht kommen, dieses Drecks Sparta! Jetzt waren es noch 8km. Meine Zeit schwand und ich zwang mich wenigstens irgendwie 10min/km zu halten. Ich wollte anlaufen aber es ging einfach nicht schneller. Die lezten 8km sagte ich mir „Du hältst nicht mehr an, trinkst nicht mehr, isst nix mehr, nennst an den VPs nur deine Nummer und siehst zu das du Land gewinnst. Beiß dir auf die Zähne und halte das jetzt aus. Der Spartathlon tut weh. Du musst jetzt diese 10min/km brechen und wenn es mit 9:40min/km ist!“ Ja wollte ich denn wirklich bei meinem ersten Finish hier riskieren über 36h zu brauchen und damit keine Urkunde und keine Medaille zu bekommen? Kein offizieller Finisher, da zu langsam? Soll mir das Rennen nicht gegönnt sein oder was ist verdammt noch mal los hier? Es musste einfach klappen. Fakt war, ich laufe nach Sparta. Es ist mir scheißegal ob ich da dann über der Zeit bin oder nicht aber es ist halt kein offizielles Finish. Und dann hat der fast blinde Ultrarläufer den Spartathlon ohne Support eben nicht in der geforderten Zeit geschafft und keine Urkunde, keine offizielle Wertung und das kann und werde ich als Leistungssportler nicht akzeptieren! Ich hielt die Schmerzen aus, knallte mit 9:20min/km jetzt diesen Berg runter und schob mich weiter und weiter. Ich hatte noch Sachen im Rucksack und verpflegte mich damit. Meinen Letzten Dropbag bei VP 73 ließ ich liegen und wollte jetzt nur noch ins Ziel. Es wurde langsam zum zweiten Mal dunkel denn ja, wir gehen auf 19:00 Uhr zu. Wenn ich die 9:20min/km halten könnte, dann reicht es für unter 36h und es ist ja egal ob 35:40h oder 35:20h, meinetwegen sogar 35:55h! Hauptsache Finish im Zeitfenster und je weiter ich von der 36h Zeit weg bin, desto stressfreier wird das für mich.
Endlich kam ein Ort und wir mussten irgendwie um die 5km vor Sparta sein. Irgendwann würde jetzt bald Christiane kommen. In Sparta läuft man ja nochmal eine Zeit weiter geradeaus, bis es rechts in den Ort selbst geht. Die Griechen nehmen das mit den Kilometern vermutlich auch nicht 100% genau, ob das jetzt genau 1km oder 1,2km sind. Es ist ja nicht IAAF vermessen. Ich hörte was piepen, sah aber nix. War das eine Zeitmatte? Irgendwo vor Sparta musste es noch den VP 74 geben und eine Zeitmatte wo gecheckt wurde ob es jetzt reichte oder nicht und ob man Finisher werden konnte oder raus war. Ich lief gedankenlos über eine Straße mit Sperrlinie weil ich in der Mitte jemand laufen sah. Blöderweise war das kein Läufer und hinter mir hörte ich einen Engländer „What are you doing Buddy?“ Ich lief also wieder auf die andere Seite und irgendwie checkten die Jungs meine Frage nicht, ob da eine Zeitmatte wäre oder nicht. Das verzeihe ich denen auch. Ich meine wir sind alle über 36h wach, morgens um 4 vor dem Start aufgestanden und keiner konnte mehr wirklich klar denken hier. Jeder wollte das nur irgendwie jetzt beenden. Ich blieb also ruhig. Was sollte ich anderes machen als weiterlaufen. Kopf aus und weiter laufen bis es vorbei ist und es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Der Abschlussgong ist noch nicht ertönt! Wenn wir die Zeitmatte nicht überlaufen haben sollten ist das schon fatal, da es zur Disqualifikation geführt hätte. Jeder VP muss ausnahmslos angelaufen werden.
„Harry!“ Sie war es! Sie war es ernsthaft und laibhaftig. Christiane stand am Wegrand und rief mich an, ca, 2km vor Ende. So weit kam sie mir entgegen aber gut, großartig weglaufen konnte ich ihr eh nicht mehr. Es kam jetzt endlich diese vermisste Zeitmatte. Aber wenn die jetzt kommt, wie weit ist das noch nach Sparta? Dort angekommen, hatte ich mein Tempo bereits erhöht so gut es ging, denn ich wollte jetzt alles geben um rechtzeitig und noch gut in der Zeit rein zu kommen. Jetzt war ich nämlich bereits bei 35h angekommen, aber jetzt reichte es definitiv. Für knapp 3km würde ich doch jetzt keine Stunde mehr brauchen! Bei 10min/km sind es 30min also, reicht es. An der Zeitmatte angekommen, wurde ich gestoppt. Es gab Probleme mit dem Chip und ein Läufer musste vor mir auf der Matte hin und her gehen damit dieser scheiß Chip endlich auslöste. Der Grieche diskutierte noch mit dem herum und dann einigten sie sich irgendwie drauf das es egal sei und er weiter sollte. „Wait“ hieß es zu mir. Mir reichte das jetzt! Die wollen echt nicht das ich ankomme, die wollen es einfach nicht! „Lass mich jetzt über diese verfickte Matte verdammt noch mal!“ Und endlich durfte ich drüber. Das Tempo war jetzt hinüber, denn ich wurde ja gestoppt. Jetzt hatte ich noch 2km und marschierte stramm dem Ziel entgegen. Christiane neben mir um mir den Eingang zu zeigen und selbst war sie jetzt am Suchen, weil hier alles gleich aussah und sich das doch ganz schön zog. Dann aber endlich, es ging nach rechts und wir waren echt in Sparta! Jetzt noch runter bis zur Dorfplatz einen kleinen Hügel hinauf und rechts abbiegen, 500m auf die Zielgerade und den König zu. Kinder waren mit Rädern da und jubelten, geleiteten mein Fniish. Menschen in den Kaffees an der Strecke sprangen auf, jubelten. Ich konnte die Tränen jetzt nicht mehr halten und dass kann ich auch jetzt noch nicht, wenn ich darüber nur nachdenke. Ich zog nochmal das Tempo an, weiß nicht auf welche Pace, war auch egal. Es ging hier nur drum für die Gallerie einen geilen Endspurt zu machen. Vor der Statue auf der Zielzeitmatte wurde ich erneut gestoppt mit „Wait!“ Was ist jetzt wieder los? Stau am Leonidas! Die wollen mir das wirklich nicht gönnen! Durch die vielen Finisher zu der Zeit, staute sich das Ganze an der Statue und dann müssen einige noch übertreiben und mit Fahne und Support und was noch alles Fotos zu machen, was unnötig Zeit kostet. So wartete ich fast 10min auf diesen Moment, die Statue berühren zu dürfen, dem Kreislaufzusammenbruch nah. Da das Rennen offiziell ab dem Überlaufen der Zeitmatte beendet war, egal. Ich kam in 35h26min ins Ziel! Dann die Zeremonie mit Lorbeerkranz und Pokal, dem obligatorischen Schluck Wasser aus dem Krug vom Fluss, wo ich besser im Nachhinein nicht wissen will, wer da alles ohne den Krug zu waschen vor mir draus getrunken hat. Ich trank drauß, da mein Kreislauf dasnach verlangte. Jetzt musste ich ins Sanitätszelt um klarzustellen das es mir gut ging. Es ging mir gar nicht gut und ich wollte ins Hotel, durfte ich nach ein wenig hin und her dann auch. 500m waren es die ich mehr oder weniger dort hin humpelte mit Sehstörungen und völlig fertig.
Aufs Abendessen verzichtete ich und schlafen konnte ich aufgrund der Schmerzen kaum. Realisieren was ich endlich hier geschafft hatte, kann ich bis heute noch kaum. Die kommenden zwei Nächte zeigte mir mein Körper erst einmal konkret das er es Scheiße fand, was ich ihm antat. Ich hatte Sehstörungen, Schmerzen, dann bekam ich eine Art Fieber und überhitzte total, nach dem Rennen blieb der Puls oben und ging stundenlang nicht runter. Dann wiederum fror ich und suchte verzweifelt eine Decke. Dann wieder Hitze, Übelkeit und ständig aufs Klo. Der Weg dorthin war ein Abenteuer. Es dauert ewig bis man auf die Schüssel kommt und ist man da, muss man sich überlegen wie man wieder hinunter kommt. Im Bett angekommen, will man eigentlich schon wieder... Egal, das Rennen ist vorbei. Der Körper hat ein Recht darauf jetzt zu spinnen! Der Geist muss sich beruhigen, die Gedanken sollen ziehen. Es ist mir einerlei. Am zweiten Tag nach dem Spartathlon gönnte ich mir eine Massage, aber ganz leicht. Lockeres gehen zum Strand, leicht bewegen im Meer und einiges an Ruhe. Den Magen vorsichtig füttern das er alles drin behält. Elotrans, was eigentlich den Elektrolythaushalt nach Durchfall auffüllen soll, nahm ich jetzt einfach so ein. Ärzte sagen eine pro Tag. Wenn die wüssten das ich im Rennen 10 davon zu mir nahm... Abends an der Finisher Party konnte ich sogar wieder ein wenig tanzen und bis auf das meine Füße geschwollen sind und sich dort ein Lympfstau bildete, der mit der Eiskammer oder Lympfdrenage wieder korrigiert werden kann, ist alles ok. Mental bin ich jetzt endlich befriedigt und endlich ist dieses Ziel erreicht. Der Kopf ist frei für Neues aber erst mal, ist die Saison zu ende. Ich muss trainieren, da ich nicht auf 0 runtergehen kann. Das wäre sogar gefährlich. Wenn ich aber die kommenden zwei Wochen nichts mache oder nur worauf ich Lust habe, ist das völlig in Ordnung.
Ob ich wieder starten würde werde ich oft gefragt. Ehrlich? Ich sehe derzeit keinen Sinn darin. Wenn ich erneut starten würde dann würde ich auch besser sein wollen. Um das zu sein, müsste ich schneller werden auf den Unterdistanzen wie Marathon und 100km und dann müsste ich noch mit der Hitze besser umgehen. Dazu müsste ich 6 Wochen z.B. in Dubai trainieren direkt vorher und selbst dann wäre ich immer noch kein begeisterter Hitzeläufer. Ich würde es können ja. Aber es wäre immer ein Kompromiss. Eine Garantie auf ein Finish gibt es hier nicht, habe ich oft genug erwähnt und begründet warum. Also gibt es vorerst keinen Grund erneut zu starten. Ich wollte das Rennen hier finishen und das habe ich erfolgreich getan. Damit bin ich demütig und dankbar zufrieden und einer der wenigen auf diesem Planeten die sich das überhaupt vorstellen können und einer der der noch wenigeren, die das überhaupt schaffen.