
Tried it all? Run the Great Wall of China!
Ein lang ersehnter Traum wurde Wirklichkeit. Ich wollte schon immer mal auf der Chinesischen Mauer sein und dieses beeindruckendste Bauwerk der menschlichen Geschichte live erleben. Als ich von diesem Event erfahren habe, einen Marathon auf der Mauer zu laufen, habe ich mich dafür natürlich sofort angemeldet. Das ich allerdings als vierter Deutscher und auf dem 24. Gesamtplatz trotz meiner starken Sehbehinderung landen würde, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können...
China ist ein beeindruckendes Land und ich finde es sehr schade, dass ich dort nicht mehr Zeit verbringen konnte. Dennoch bin ich für diese Erfahrung sehr dankbar und auch deshalb, weil die meisten Menschen nicht einmal das erleben können. Wenn ich auch selbst nur eine Woche vor Ort war, so habe ich einiges an Kultur und Eindrücken mitnehmen können. Allein der Verkehr in Peking (Beijing auf chinesisch), war extrem. Hier würde ich als stark sehbehinderter ungern bis gar nicht allein raus gehen wollen und frag mich, wie man hier überhaupt als Behinderter überlebt. Dank der E-Roller und E-Autos, hört man den Verkehr kaum noch und wofür es hier Verkehrsregeln gibt, ist mir ebenfalls ein Rätsel, da die Roller und Räder sowieso fahren wie sie wollen und auch wo es ihnen passt. Selbst die beruhigteste Seitenstraße ist hier gefährlich. Da wird, wenn überhaupt, kurz gehupt: „ich komme jetzt“ und dann seh zu das du aus dem Weg kommst. Dadurch machte ich mir auch ernsthaft Sorgen über das Rennen selbst. Leider findet dies nicht ausschließlich auf der Mauer statt, sondern geht auch über benachbarte Dörfer und das über 20km lang. Auf der Mauer selbst verbringt man eigentlich nur 6km und zwar einmal in die eine und dann in die andere Richtung. Mir würde ein Ultralauf auf der Mauer gefallen, der aber nicht angeboten wird.
Als einziger offizieller Veranstalter ist derzeit nur Albatros Adventure aktiv. Es gibt wohl auch eine Veranstaltung, bei der bis zu sechs Tagen an der Mauer gewandert wird. Außer diesem Marathon von Albatros Adventure wird aber kein offizielles Rennen angeboten. Dennoch hat man ein beeindruckendes Erlebnis, da man vor dem Rennen auch einen Expection Day hat und die Mauer so zu sagen besichtigen kann. Das ist in zweierlei Hinsicht perfekt. Erstens weiß man worauf man sich einlässt und gerade ich mit meiner Behinderung, kann mir ein genaues Bild darüber verschaffen, wie ich dort zu laufen habe und wie gefährlich es wo ist. Außerdem konnte ich tolle Bilder machen und in Ruhe genießen, dass ich hier auf diesem beeindruckenden Bauwerk stehen darf. Da bekommt man Tränen und Gänsehaut zugleich. Wer hier nichts empfindet, dem kann ich auch nicht helfen. Man ist in einer wunderschönen Region und muss mal überlegen wie lange es die Mauer schon gibt, wie und wann sie gebaut wurde, welche herausragende Leistung das gewesen sein muss, die Arbeiter mit Wasser und Nahrung zu versorgen und dort als Soldat stationiert zu sein, etc. Ich kann mir auch kaum vorstellen, wie die dort gelaufen sind wenn es zur Verteidigung kam und wie viele Leute schwer verletzt oder umgekommen sein müssen. Diese Eindrücke kann man sich verschaffen und davon könnt ihr hier mit meinem Video profitieren!
Ich sorgte mich schon das Rennen heil zu überstehen. Die Stufen bergab kann ich aufgrund meiner Kontrastschwäche nicht sehen und wenn die Sonne scheint und ich in die dunklen Wachhäuschen rein laufe, sehe ich erst einmal gar nichts mehr. Das kommt auf dem Video nicht so rüber und normal sehende Menschen begreifen mein Problem vermutlich gar nicht. Die sehen sicher auch die Treppen bergab. Ich sehe diese leider kaum und meine Augen stellen sich im Wachhäuschen und danach langsam um. Ein falscher Schritt, man kann schwer stürzen, tödlich oder schwer verletzt verunglücken und kleinere Blessuren kamen hier selbst vorm Rennen bei der Besichtigungstour vor. Ich weiß das ich bergauf schnell sein kann und die Kraft habe, aber wie bei jedem Berglauf und Traillauf, werde ich bergab Plätze verlieren, da ich hier verdammt vorsichtig sein muss. Dann kommt noch die Rücksichtslosigkeit von Mitläufern dazu, die drängeln, schupsen oder einfach nur egoistisch nicht aufpassen. Leider gibt es unter Sportlern solche Idioten, kaum zu glauben aber ja. Ich Wollte am Start die ersten 4km bergauf so schnell wie möglich sein und auch auf der ersten Runde über die Mauer zügig laufen. Die Bergab Passagen auf der Mauer und von ihr herunter musste ich eben langsam machen und hoffte zu Begin etwas Zeit bergauf gut zu machen, dass ich nicht allzu weit zurückfallen würde. Dann wollte ich auf der Straße in die Dörfer Gas geben und sehen, dass ich schnell blieb bis zum zweiten Aufstieg auf die Mauer. Naja, und dann wie ein Irrer die Straße runter ins Dorf 4km und ab ins Ziel! Das war der Plan. Aber wie ihr euch denken könnt, ging der nicht ganz so einfach auf.
Zu Beginn kam ich gut weg und startete in Welle eins und somit ganz vorn. Der Start also kein Thema. Der Anstieg hatte es, auch wenn es nur Asphalt war, echt in sich. Der war schon steil und die Mauer kam ja noch direkt im Anschluss. Ich wollte hier auf keinen Fall gehen müssen und gab alles, dass ich am Laufen blieb. Teilweise starke Windböen bremsten mich etwas aus und ich marschierte zügig, um hier nicht dem Wind meine Kraft zu schenken. Der Wind ist ohnehin stärker als ich. An der Mauer angekommen, lief das erst mal so wie geplant, bis ich stolperte. Die Stufen sind unterschiedlich hoch und somit war ich froh, auf meinen Handflächen und bergauf zu gelandet zu sein, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Das war knapp! Von dem Schock erholt ging es weiter und dann auch nach ca. 3km bergab von der Mauer runter. Damit nicht ein Blinder zum anderen sagen kann „Vorsicht Treppepepepe..“, musste ich hier echt aufpassen und war froh, dass es nicht geregnet hat und es hier nicht rutschig war.

Unten angekommen, ging es auf die Straße und ich war froh, hier nur geschätzt 15 Plätze verloren zu haben. Es waren echt nicht viele die mich überholt haben und so gab es kein Gedränge, kein Geschupse und alles lief glatt. Ich wollte in 4:20min/km durchstarten, durfte aber nach knapp 12km erkennen, dass das nicht meine beste Idee an diesem Tag sein sollte. Ich musste also Federn lassen und mich auf knapp unter 5min/km ausbremsen. Ich holte mir die ein oder andere Position wieder zurück. Die Strecke wurde für den Verkehr nicht gesperrt und so musste man auf alles achten. Es konnten einem jederzeit Autos oder Roller und sonstige Gefährte entgegenkommen, auch Rikschas. So hieß es, stets aufpassen. Trotzdem fühlte ich mich hier ziemlich einsam und bis auf den ein oder anderen den ich einholte, war ich alleine.
Die Strecke ging von der Hauptstraße in Dörfer und auf wunderschönen Trails weiter. Diese waren nicht allzu schwer, aber in einer schönen Gegend. Ich lief auf zwei Amerikaner auf, die mich an der Mauer bergab stehen ließen und diese waren erstaunt, mich wieder zu sehen. „You are a Beast!“ riefen sie und ich freute mich. Wir wechselten ein paar Worte, wenn auch nicht viele, da wir ja unsere Luft zum Laufen brauchten und es stellte sich heraus, dass es sich hier um Spartathlon Läufer handelte. Die waren gut die Jungs und ich war immer mal dran, dann waren die wieder vorn, ich wieder vorn und so ging das bis ca. km 32 weiter. Die Chinesen an der Strecke waren super lieb und feuerten uns an. Ich versuchte chinesisch zu grüßen wann immer meine Luftreserven das zu ließen und hatte manchmal sogar das Gefühl, die wundern sich ernsthaft darüber, was wir hier tun. Die Amerikaner setzten sich jetzt langsam von mir ab und ich hatte keine Chance mehr da dran zu bleiben, sammelte aber nun sämtliche Halbmarathonläufer vier Kilometer vor deren Ziel laufend und gehend ein. Das motivierte mich freilich und ich sehnte den Aufstieg auf die Mauer herbei. Ich konnte nicht einfach nach dem ersten Aufstieg mal eben auf der Straße das gewünschte Tempo hin rotzen und quälte mich jetzt ernsthaft den leichten Anstieg am Finish vorbei Richtung zweiter Mauerrunde entlang. Dort angekommen, merkte ich leider plötzlich leichte Krämpfe in beiden Waden. Das konnte ich nun gar nicht gebrauchen und ich wusste, dass ich ein Salzproblem hatte. Wasser trank ich genug, aber Salz gab es hier keines und die Wasserstationen wurden von Einheimischen betreut, die mich nicht verstanden haben. So musste ich mit den dort angebotenen Gels arbeiten und hoffen, dass diese wirkten. Wenn die Krämpfe jetzt nämlich stärker würden, käme ich nicht mehr schnell bergauf, würde aber auch nicht mehr wirklich bergab laufen können und alles bisher aufgebaute verlieren!
Jede falsche Bewegung löste Krämpfe aus. Also musste ich jeden Schritt überlegt tun und versuchen, so schnell wie möglich da hoch zu kommen und notfalls auf allen Vieren. Hauptsache so schnell wie möglich. Die Amis mit ihren gelben Shirts noch im Blick, kam ich aber ums Verrecken nicht ran und ich sag ja immer, wenn jemand besser ist als ich, sei es ihm gegönnt. Wenn nicht, Angriff und nach vorn. Nach nicht enden wollendem Aufstieg, kam nun endlich der letzte Abstieg auf der Mauer. Vorher verkaufte noch eine verkaufstüchtige Chinesin Cola für 10 Yen, die ich natürlich nicht dabei hatte. Da sie dafür kein Verständnis hatte, ging es eben one Cola weiter. Die Krämpfe ließen nicht nach und ein weiterer Läufer passierte mich bergab. Dafür sammelte ich vorher beim Aufstieg einen Chinesen ein, der sehr lieb zu mir war und meine Leistung mit meiner Behinderung beeindruckend fand. Dieser sprach sehr gut Englisch und ich erfuhr, dass evtl. 15 Leute vor uns seien, weshalb es hier vorn so einsam ist und die Meisten hinter uns liefen. Na diese Nachricht habe ich natürlich gebraucht und wollte ums Verrecken meine Position nicht aufgeben. Seit etwa 15km waren meine Achselhöhlen wund und ich ertrug die Schmerzen, weil ich einfach meine Position nicht hergeben wollte. „I am flying now!“, rief dieser eine Läufer mir zu, der mich auf dem letzten Mauerstück bergab überholte und weg war er. Der Chinese allerdings war jetzt hinten. Am Mauerausgang angekommen musste ich erst mal wieder sehen wo ich lang laufen musste und auch das kostete wieder sinnlos Zeit. Da hörte ich Schritte des Läufers in der Ferne, der mich zuvor bergab auf der Mauer überholt hatte und als kleinen Punkt hatte ich ihn im Blickfeld vor mir. Ich hetzte die Straße runter so gut es ging, denn weiterhin waren Krämpfe da und ich konnte nicht über 5:30min/km laufen. „Folglich ist der halt auch weg“, dachte ich so bei mir und hoffte einfach, dass ich dort platziet bleiben könnte. Es war mich auch wichtig ihn weiter im Blick zu haben, damit ich wusste, wo ich langlaufen musste. Es war ja sonst keiner da und ich wollte natürlich nicht auf die hinteren warten und meine Position verschenken. Aber hier im Ort gab es noch die ein oder andere Schweinerei wo man aufpassen musste, nicht falsch abzubiegen.
Jetzt ging es um die letzten 3km und das versuchte ich mir mental auch klar zu machen. „Jetzt hör auf zu jammern du Penner und lauf! Du musst diese Position jetzt echt nicht sinnlos hergeben!“ Ich meine, wenn mich einer zügig überholen sollte und ich nicht mehr ran käme, so sei es ihm gegönnt und er hat es verdient. Wenn ich aber einfach nur spaziere, weil ich nicht mehr will oder weil es halt weh tut, das darf einfach nicht sein. „Es tut jedem weh und das weißt du auch! Jetzt reiß dich zusammen auf den letzten blöden 3km und davon das Meiste bergab, was ist das Problem Junge?“ Naja das Problem ist, es ist hart. Aber ich blieb dran und kämpfte was das Zeug hielt. Plötzlich war er da! Der Kerl der mich überholt hatte war plötzlich kein Punkt mehr, sondern er wurde größer und verschwand sogleich hinter mir. Das Risiko jetzt alleine ohne jemand vor mir zu haben, musste ich jetzt wohl eingehen. Die Krämpfe ließen etwas nach und ich wurde schneller. 4:50min/km war jetzt nicht die Welt aber es müsste reichen um die Position zu halten. An die nun folgende Unterführung konnte ich mich erinnern, danach rechts zu laufen leider nicht. Das teilten mir ein paar aufgeregte Chinesen mit Händen und Füßen mit, da ich sie nicht verstand. Die letzte Straße Richtung Ziel und leicht bergan stand mir bevor und hier würde ich keinen mehr einsammeln können, wohl aber auch keine Position mehr hergeben müssen, wenn ich jetzt nur brav laufen würde. Ich musste diese Straße überqueren und wurde dabei fast zweimal überfahren. Diese wurde wie gesagt nicht gesperrt und der Verkehr nahm im Gegensatz zu heute früh zu. Also blieb ich leider erst einmal stehen. Da man bei Rennen auch immer eine Portion Glück benötigt, sollte ich dieses jetzt haben. Ein Teammitglied des Veranstalters sah mich und wusste um meine Sehbehinderung. Er half mir über die Straße und ich setzte nun meine letzten ca. 600m Strecke fort. Nun endlich kam das lang ersehnte Finish und dort angekommen, konnte ich meine Tränen nicht halten. Ich hatte es geschafft und bin unverletzt angekommen.
Natürich war mein erster Gedanke, welche Platzierung ich denn nun haben würde, denn es war hier so gut wie nichts los im Finisher Bereich. Ich erfuhr vom Renndirektor Lars der uns alle hier empfing, dass ich gesamt 24. geworden bin. Ich bat ihn das noch einmal zu wiederholen und fragte ihn, ob er sich da auch nicht verguckt hätte oder evtl. den Altersklassenplatz meinte? Nein, es sei so wie er mir gesagt hatte. Es ist Platz 24 Gesamtplatz und sogar der 2. Platz meiner Altersklasse. Unglaublich auf dieser Strecke! Ich fragte mich die ganze Zeit, warum ich eigentlich nicht etwas schneller laufen konnte und doch so lahm unterwegs war. Knapp unter 4 Stunden oder wenigstens knapp darüber hätte ich gern gehabt, konnte aber mit 4h45min und wenigstens unter 5 Stunden zufrieden sein. Im Nachhinein betrachtet relativiert sich das alles, wenn sogar der Sieger nicht unter 4 Stunden laufen konnte und vermutlich eine Marathon-Zeit von unter 3 Stunden auf der Flachen Strecke laufen kann. Da muss ich mich nicht verstecken. Mit meinem Spartathlon Training kann ich derzeit vielleicht knapp über 3 Stunden einen Marathon auf flacher Strecke laufen, aber unter 3h10min oder unter 3 Stunden, derzeit nicht! So gesehen bin ich echt zufrieden. Körperlich und mental habe ich alles gegeben und konnte mir erst einmal nicht vorstellen, überhaupt ein weiteres Rennen zu laufen, geschweige denn am Spartathlon zu starten. Selbst die 100km in Biel, die schon übernächste Woche zu laufen sind, kann ich mir momentan nicht vorstellen. Das war selbst am Tag nach dem Rennen so. Meine Arme, Beine, Schultern, der gesamte Körper war gestresst, tat weh und ich war völlig fertig. Klar konnte ich laufen wenn es hätte sein müssen und ich ging auch munter Treppen rauf und runter und wir liefen den halben Tag durch Beijing und schauten uns Sehenswürdigkeiten an. Aber Lust zu laufen hatte ich und habe ich bis heute nicht wirklich. Das zeigt mir aber wie hart es war und das ich wie bei jedem Rennen wieder alles gegeben habe. So gesehen habe ich mir nichts vorzuwerfen.
Rennvideo von Harry Lange - Powered by Marathon-Photos.com
Die behinderungsbedingten Probleme kommen hier auch nicht zu kurz. Ich nehme deutlich das Tempo bei den Treppen bergab raus und am Ende verpasse ich fast noch mein Finish! Ich konnte einfach nicht sehen ob ich links oder geradeaus laufen muss. Jetzt war Position 25 zum Glück 1:30min hinter mir. Wenn das ein Rennen auf Messers Schneide ist, verliert man durch so eine Aktion sämtliche hart erkämpfte Positionen sinnlos. Es ist wie es ist. In meiner Situation kannst du nur zwei Dinge tun: a) im Rahmen deiner Möglichkeiten laufen oder b) gar nicht laufen.