Der Spartathlon ist unberechenbar - Scheiße passiert....

Bildquelle: www.spartathlon.gr
Bildquelle: www.spartathlon.gr

Geschockt blicke ich heute noch zurück was mir beim Spartathlon 2019 passiert ist und kann es weder begreifen noch verstehen. Der Spartathlon ist ein Rennen bei dem dir alles passieren kann. Du kannst überfahren werden, von einem Hund gebissen werden, der Hitze erliegen, einen Kreislaufzusammenbruch haben, übermüdet auf der Straße in ein Auto laufen und was noch nicht alles. Dieses Rennen ist das wichtigste Rennen meiner Laufkarriere und es ist der Zenit des Ultralaufs. Es gibt längere Rennen, es gibt profiliertere Rennen und es gibt in der Tat auch schönere Rennen. Der Spartathlon ist aber eben DAS Rennen, weil er aufgrund seines enorm harten Zeitlimits und der unberechenbaren Bedingungen die dort herrschen niemals garantiert zu bewältigen ist.....

27. September 2019. Nicht wirklich ausgeschlafen und aufgeregt wie es vor einem so schweren Rennen normal ist, mache ich mich fertig und gehe zum Frühstücken. Letztes Jahr hatten wir ein beschissenes Wetter und es regnete in einem fort. das Rennen stand kurz vor dem Abbruch und das war das erste Mal in der Geschichte des Spartathlon der Fall. In diesem Jahr erwartete uns das andere Extrem - die Hitze. Es sollte kein Tropfen Regen fallen, nicht mal auf dem Sangaspass und es sollte an die 30 Grad heiß werden. Zudem hohe Luftfeuchtigkeit. Die Prognose stimmte und es war bereits jetzt in Athen kurz vor dem Start um 06:30 Uhr sehr schwül. 

 

Mir war schon bewusst, dass ich von Anfang an gut trinken musste und auch schon frühzeitig mit Salz und Magnesium anfangen musste. Der Startschuss fiel und es lief wunderbar. Bis Marathon hatte ich keine Probleme, außer dass ich merkte, dass es zunehmend heiß wurde. Ich durfte auf keinen Fall zu schnell laufen, wollte aber schon locker laufen und mich gut versorgen. Beim ersten Marathon dann hatte ich meinen ersten Verpflegungsbeutel und freute mich über mein Peronin. Ich wollte nichts essen, was ich aber von mir ja kenne bei derartigen Temperaturen. Ich esse dann meist erst nachts. 

 

Ab 70km dann begann das Drama. Die Waden begannen beide zu krampfen. Ich lief etwas langsamer, nahm erneut Salz und Magnesium und trank Wasser. Es wirkte zunächst leider nicht und ich stolperte vor mich hin, die Cut Off Zeit im Nacken und die Sorge darum wie ich jetzt weitermachen soll. Solche Probleme so früh zu haben noch vor 80km sind nicht gut.... Die Krämpfe hielten an und begannen sich jetzt auf die Oberschenkel auszubreiten. Verdammt! So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt, ich wusste nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gibt! Ich hielt an und versuchte zu dehnen. Ehe ich mich versah, fiel ich schmerzerfüllt zu Boden, direkt auf die Straße und schrie laut auf. Ich wusste mir nicht zu helfen. Ich versuchte mich zu bewegen und war nahezu bewegungslos. Ich versuchte auf die Beine zu kommen, weil ich wusste, dass ich irgendwie anlaufen musste, wollte ich eine Chance gegen diese enormen Krämpfe haben. Mein Kreislauf sah das anders und streikte. Mir wurde schwindelig und ich fand mich auf dem Boden wieder. Ein Autofahrer hielt an, es war ein Supporter eines anderen Läufers. Der versorgte mich mit Eis. Ich setzte mich auf und atmete tief durch. Als mein Kreislauf mich in die Knie zwang, war mein letzter Gedanke bis ich wieder richtig bei mir war "jetzt ist es vorbei...".

 

Ich atmete ruhig, kühlte meine Beine mit Eiswürfeln und legte mir Eis auf den Kopf unter meine Mütze. "Du musst aus der Sonne raus" meinte der Supporter - Spaßvogel... Wir haben pralle Sonne, sind mitten auf einer stark befahrenen Straße im Nirgendwo vor Korinth, wie soll ich da aus der Sonne raus kommen?? Ich stand auf und versuchte zum nächsten VP zu kommen, was mir auch gelang. Dort angekommen aß ich eine Hand voll Nüsse und fiel unter höllischen Schmerzen zu Boden direkt in eine Pfütze wo ich schreiend liegen blieb. Die Helfer am Stand schauten sich das Spektakel erst einmal auch hilflos an und fragten sich was das jetzt sei. Ich erklärte ihnen das ich extreme Krämpfe habe und ehe ich mich versah, waren drei Griechen an mir und hämmerten mit ihren Fäusten auf meine beiden Beine ein, die sich wie Holzpfeiler anfühlten und nicht bewegen ließen. "Schneidet sie einfach ab damit ich sie nicht weiter ertragen muss!", brüllte ich in meiner Verzweiflung. Schließlich lockerten sich meine Beine etwas, ich konnte aufstehen und versicherte ihnen das es mir gut gehe und ich weiter wolle. "You would not stop now?" No, I want Sparta!" Zu deutsch: Ob ich aussteigen wolle? Nein, ich will nach Sparta! Also setzte ich meinen Weg fort und hatte plötzlich die göttliche Eingebung, ob es klug sei seine Kompressionsstrüpfe auszuziehen? Ein Arzt erklärte mir im Nachgang es sei Quatsch gewesen, weil er nicht glaube das sie mich eingeschnürt hätten. Das kostete dummerweise alles eine Menge Zeit. Ich quälte mich an einem Zaun lehnend, mitten auf einer Straße in der prallen Sonne im Nirgendwo aus diesen Socken raus und lief barfuß in meinen Schuhen weiter. Es war mir egal ob meine Füße jetzt eine einzige Blase werden würden oder nicht, ich wollte es schaffen und das um jeden Preis. Nichts würde mich aufhalten! Nichts und Niemand!

 

Wenn da nicht die strenge Cut Off Zeit wäre... Diese wurde mir nämlich jetzt zum Verhängnis. Kurz vor Korinth, ca. 3km davor ist ein CP, den ich jetzt ca. 2 Minuten zu spät erreicht hatte. Ich wollte einfach durchlaufen, meine Startnummer rufen, Wasser vom Tisch abgreifen und weiterlaufen. Diese Rechnung hatte ich allerdings ohne die Streckenposten gemacht. Diese stoppten mich zu zweit und forderten mich auf mich sofort hinzusetzen. Warum fragte ich, noch nicht wissend dass ich über der Zeit war. Ich währe zu spät und dürfe deshalb nicht weiter. Meine Uhr zeigte 9h15min und ich müsste in 9h30min erst in Korinth sein, was mir in 15min auf 3km schon gelingen würde.. Dafür hätte ich allerdings 5min/km laufen können müssen und damit hätte ich mich vermutlich total abgeschossen. Nein, ich dürfe nicht weiter. Ihnen wäre schon klar, dass es mir wieder besser ging und ich in der Lage sei zu laufen aber ich sein nun mal zu spät, das seien die Regeln und deshalb ist für mich hier Schluss. Ich solle meine Startnummer abgeben, unterschreiben und in den Bus steigen der links von uns stand. Diskutieren und protestieren hilft hier gar nichts. Fakt ist Fakt. Ich war nervlich fertig und bin es noch. Was habe ich schon alles durchlebt und geschafft? Wie viel Vorbereitung und Planung, Training, Zeit, Nerven, Geld habe ich in dieses Vorhaben für diesen einen Moment investiert? Wie sehr habe ich meine Freundin und Familie damit genervt? 14h Training pro Woche neben Beruf und Haushalt und alles drehte sich nur um Sparta - alles umsonst, vorbei, am Ende. Frustriert stand ich auf und war froh, einen weiteren Leidensgenossen im Bus zu treffen dem es ähnlich ging wie mir. Die Sonne ging langsam unter und das war die Zeit die ich herbeisehnte und auf die ich gewartet hatte. Es half alles nichts, es war zu Ende.

 

Der Schmerz sitzt tief und die Frage nach dem Warum bleibt. Ich erfuhr im Nachgang, dass man aufgrund der Hitze die Cut Off in Korinth um 10min erhöht hat, wodurch ich es dann doch wieder gepackt hätte! Man muss aber begreifen das man das anders sehen muss. Es geht nicht nur darum ob man Korinth bis spätestens 9h30min erreichen kann, sondern es geht auch darum, den vorhergehenden VP in der geforderten Zeit erreicht zu haben. Überschreitet man die Cut Off eimal, ist es aus. Und durch meine Probleme, die mich einfach zu früh erwischt hatten, war das jetzt der Fall. Im Nachhinein finde ich einfach den Fehler nicht. Habe ich zu wenig getrunken? Ich bin eigentlich Hitze erfahren und weiß mit Salz, Magnesium und Wasser umzugehen. Trotzdem, hätte ich zwischen den VPs mehr und alle 5min trinken sollen? Habe ich da was übersehen? Wenn ja, kann man bei diesen hohen Temperaturen den Flüssigkeitsmangel schwer bis garn icht mehr korrigieren und es ist vorbei. Mein Zimmergenosse hatte das Glück, dass ihn diese Krämpfe und wie ich sie hatte erst nach Koronth geplagt hatten, wo er aber wieder mehr Zeit hatte um diese Probleme in den Griff zu bekommen. Außerdem stand ihm dann die kühle klare Nacht bevor, in der er wieder besser laufen konnte und sich regenerieren konnte. Natürlich ist es auch möglich, dass ich einfach einen scheiß Tag am wichtigsten Tag in meinem Leben und meiner Laufsaison 2019 und bisherigen Laufkarriere hatte. Meinem Körper ist das doch egal ob heute Spartathlon ist, welcher Wochentag ist oder was ich gerade geplant habe. Wenn es heute nicht sein soll, dann soll das heute nicht sein - basta. Das kann ich jetzt drehen und wenden wie ich will. Ich kann es weder ändern, noch verstehen. Ich muss diese bittere Erfahrung, die ich nicht Niederlage nennen will, weil wer bei diesem Rennen scheitert einfach nicht versagt hat, hinnehmen. 

 

Wer hier an den Start geht muss wissen, dass es keine Garantie für ein Finish gibt - zu keinem Zeitpunkt. Das Rennen ist zu lang, das Wetter unberechenbar und man ist 80% der Strecke auf stark befahrenen, nicht gesperrten Hauptverkehrsstraßen unterwegs, was es einem unmöglich macht, das Rennen von A - Z zu kalkulieren. All diese Gegebenheiten machen das Rennen schwer und interessant. Es ist DAS Rennen der Ultraszene. Schnelle und spontane, aber vor allem richtige Entscheidungen treffen zu können, ist hier die Kunst. Man kann vieles planen aber das Meiste eben nicht. Trifft man einmal die falsche Entscheidung kann es das gewesen sein. Man muss hier auf alles gefasst sein.

 

Das ist mit Sicherheit der härteste Tiefschlag meiner bisherigen Laufkarriere. Dennoch ist mein Ziel klar. Natürlich habe ich überlegt es nicht erneut zu versuchen und was anders zu machen oder für meinen Kopf ein oder zwei Jahre zu pausieren und dann erneut zu starten. Die andere Seite ist aber - wozu warten? Will ich das Ziel erreichen oder nicht? Wenn ja, muss man am Ball bleiben! Auf was soll ich warten? Weiß ich ob ich in drei Jahren noch laufen kann, das Geld habe, es beruflich geht? Jetzt kann ich es! Ich bin gesund, fit, stark, habe den Willen und den Mut dazu, es erneut anzugehen. Also steht meine Entscheidung im Kopf klar fest, es 2020 erneut zu versuchen und schaffen zu wollen. Jetzt muss ich eben hoffen, erneut einen der begehrten Startplätze zu bekommen, gesund und fit zu bleiben und dann froh, mit neuem Mut und einer Erfahrung reicher wieder beim Spartathlon 2020 an den Start zu gehen, um hoffentlich mein Ziel Sparta zu erreichen! Drei Gründe sprechen einfach dafür:

 

1. Alle guten Dinge sind 3

2. Es ist mein 40. Geburtstag in diesem Jahr

3. Ich will dieses Ziel für mich erklimmen und habe das Zeug dazu - davon bin ich überzeugt!