Niemand hat die Absicht 100 Meilen zu laufen - Das haben sie vorm Bau der Berliner Mauer auch behauptet....

Der Mauerweglauf in Berlin folgt mit 100 Meilen (161km) dem kompletten Verlauf der ehemaligen Berliner Mauer. Einst haben sie gesagt "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen" und doch wurde sie gebaut. Wer den Mauerweglauf beschreitet, ob in einer Staffel oder wie ich alleine, wird mehrmals Gänsehaut verspüren. Der Mauerweglauf wird in Gedanken an die Maueropfer durchgeführt. Er ist ein wunderschönes Erlebnis mit sehr interessanten historischen Einblicken. Für mich eines der schwersten Rennen das ich je gelaufen bin. Noch nie verspürte ich so starkes Verlangen danach, ein Rennen aufgeben zu wollen....

Am Vorabend war alles noch wunderbar und das Event startete mit einem wundervollen Buffet wie ich es sonst kaum von Läufen kenne. Es gibt nichts was es nicht gibt. Hervorragend zubereitete Pasta, vegan und normal, dazu Eis und Obst mit großem Salatbuffet! Früh zu Bett gehen musste sein, denn bereits um 3 Uhr morgens wird der Wecker klingeln. Bereits da fragte ich mich das erste Mal warum ich mir sowas eigentlich antue. Nicht nur die Tatsache, dass man morgens um 3 Uhr aufstehen sollte ist scheußlich. Nein, auch der Gedanke daran das es einzig und allen dem Zweck dient, jetzt 161km laufen zu müssen und zwar Nonstop! Ich zog mich also an und machte mich auf den Weg zum Start, wo es dann pünktlich um 6 Uhr nach einem kleinen Frühstück  auf die 100 Meilen losgehen sollte. Zunächst verlief alles gut und ich als geübter Ultraläufer weiß, dass ich die ersten 100km einfach "abspulen" können muss um dann zu schauen was geht. Sparta im Blick war meine Strategie. Das Rennen nicht voll zu laufen, aber auch nicht zu verbummeln. Ich soll schon meinen Spartathlon Schritt halten können und mich auch an die dort geforderten Sollzeiten anpassen. Also versuchte ich wieder schön meinen ersten Marathon unter 4h20min zu halten und die ersten 81km unter 9h30min. Beim Spartathlon ist mein Hauptziel immer erst einmal die ersten 81km gut einzufahren und damit im Rennen anzukommen. Ich will danach nicht kaputt sein, aber auch nicht der Sollzeit hinterher eilen müssen. Zeit hätte ich auf den 100 Meilen Berlin mit 31h genug, dennoch ist mein Ansinnen 100% unter 24h zu bleiben und ich hätte mich auch gern bei 16h gesehen. 

 

Das Wetter zunächst ein Traum, es hätte nich besser sein können. Die Versorgung klappte gut, ich fühlte mich wohl und wenn erst einmal der erste Marathon hinter einem liegt, weiß man, dass heute mehr auf dem Programm steht. Ich persönlich muss immer kämpfen bis der erste Marathon rum ist. Ich weiß nicht warum mir das immer so schwer fällt. Wenn die ersten 42,2km gelaufen sind, geht es erst mal wieder zuversichtlich weiter. Blöd ist nur, dass ich mir irgendwie meinen linken Fuß verletzt habe und nicht weiß womit genau. Vermutlich beim Skaten durch die Springerei oder was auch immer. Jedenfalls tat der jetzt schon weh - und wir haben grad mal den Marathon hinter uns... Ich hatte mit meinem Trainer vereinbart, wenn es nicht geht und die Schmerzen zu stark sind, das Rennen lieber aufzugeben und das Augenmerk rein auf Sparta zu richten. Das ist zwar blöd, aber besser als hier irgendwie durchzukommen und in Sparta nicht starten zu können oder gar aufgeben zu müssen. Die Vorbereitung auf den Spartathlon ist zu aufwändig und zu wichtig um dieses Vorhaben zu gefährden und der 100 Meilen Lauf in Berlin "nur" ein Vorbereitungsrennen darauf. 

 

Es wurde etwas wärmer und ich freute mich zunächst, meine Christiane als Fahrradbegleiterin bald bei mir haben zu dürfen. Sie durfte mich erst ab km 53 begleiten, da es vorher zu eng war. Im Normalfall mag das so sein. Vorne zu laufen macht einsam. Ich setzte mich mit ein paar anderen bereits sehr früh im Rennen nach vorn ab und hatte ab ca. 25km die Strecke so gut wie für mich alleine. Die Elite weg, die anderen hinten und hin und wieder ein paar Überholungen von mir, oder ich wurde selbst überholt. Wie das beim Ultra so ist, überholt man meistens immer die gleichen Leute. Außerdem bin ich ja selbst schon ein Eliteläufer, was mir dann immer wieder bewusst wird wenn ich auf meine Ergebnisse und mein Leistungsniveau blicke. Zuversichtlich eine gute Zeit zu laufen und in Vorfreude auf Griechenland bewegte ich mich in Richtung der 100km. Ich gönnte mir eine kurze Trabpause bei 81km und freute mich das es keine 20km mehr bis 100km waren. Außerdem sind es ab 100km nur noch 61km bis ins Ziel! Sogar der linke Fuß hörte jetzt auf weh zu tun. Entweder gewöhnte ich mich langsam dran oder er wurde leicht taub. Wie dem auch sei, egal, Hauptsache ich kann in Ruhe laufen. 

 

"Du fühlst dich gut bei einem Ultra? Glaub mir - das vergeht..." Dieser Spruch könnte wahrer nicht sein. Höhen und Tiefen gibt es beim Ultra immer aber wenn du aus einem Tief nicht mehr heraus kommst und deine Gedanken nicht ins Positive lenken kannst, bist du echt verloren! Kreislauf und Magen rebellierten etwas und ich bewegte mich jetzt um die 108km herum. Plötzlich fing es mir an, irrsinnig schwer zu fallen. Es sei noch so weit ins Ziel, es geht jetzt sehr langsam voran, so ca. 9min30sek pro Kilometer und das zieht sich... Die Verpflegungspunkte liegen bis zu 9km auseinander und du hast das Gefühl gar nicht mehr verpflegt zu werden. Obwohl ich wusste, dass ich auch bei 16h Laufzeit definitiv in die Dunkelheit laufen würde war mir wichtig, möglichst viel Distanz im Hellen laufen zu können. An 16h war jetzt nicht mehr zu denken und das währe auch so gesehen eine Bomben Zeit. Ich rechnete so, weil ich dachte, dass das ja "nur" 6min auf einen Kilometer währen. Würde ich das beim Spartathlon laufen, könnte ich ganz vorn mit dabei sein! Das vergisst man immer schnell bei solchen Vorhaben. Ich sage mir immer, dass ich Rennen bis Marathon zu fast 100% und bis 100km noch teilweise kalkulieren kann. Danach kommt es wie es kommt - mal abgesehen von unvorhergesehenen gesundheitlichen Problemen. Also wurde getrabt, wieder angelaufen und wieder getrabt. Ich konnte kaum essen und verlangte nach Brühe. Leider gab es kein warmes Wasser am nächsten Verpflegungspunkt was mich dazu veranlasste, das Brühpulver in kaltes Wasser einzurühren. Auf die Aussage einer Helferin "das schmeckt doch nicht" konnte ich nur entschlossen entgegnen "Nahrung muss nicht zwangsläufig schmecken, sie muss funktionieren!" 

 

Und das tat sie! Wenn nichts mehr geht - Brühe geht immer. Und wenn die nicht mehr geht, dann wird´s kritisch. So ging es weiter Richtung der 120km und weiter bis km 130. Das mag sich leicht lesen, aber so schnell und leicht war das nicht. Selbst Christiane als meine Fahrradbegleitung, was ja auch sehr anstrengend ist, verlor jeglichen Bezug zu Raum und Zeit und träumte von Kilometerzeiten, von denen wir weit weg waren. Da sie langsam neben mir her radeln musste und sich die Zeiten auf einen Kilometer deutlich verlängern meinte sie dann z.B. "Ah jetzt haben wir gleich 140km" und ich sage "Nein mein Engel, wir sind erst bei km 134 und noch weite 6km davon entfernt." Wenn man dann erkennt, dass es bei km 140 immer noch 21km sind...

 

Wir waren bereits bei unter 30km angelangt die wir nun noch vor uns hatten und dennoch begann meine Motivation sowas von schwindend zu sinken, dass ich mich vor mir selbst wundern musste. Ich war sowas von geil darauf einfach aufzugeben, das kann ich kaum in Worte fassen. Dass man mal keine Lust mehr hat oder hinwerfen will und sich die Frage nach dem Warum stellt, das kenne ich ja alles. Aber so schlimm das man darüber nachdenkt sich vom Spartathlon abzumelden und alles einfach hinwerfen will und einfach keine Lust mehr hat, sowas kenne ich von mir nicht. Ich bin eigentlich sehr klar fokussiert und weiß was ich will. Mich machte auch fertig nicht mehr wirklich laufen zu können und zu wissen was das an Restzeit heißt. Ich bin in Tippelschritten beim Deutschlandlauf durch Köln und das langsamer als ein Fußgänger getippelt nur um das Rennen erfolgreich beenden zu dürfen und wusste, das ich das über 50km durchhalten müsse und hatte hier ein Problem mal knapp 28km jetzt stramm marschieren zu müssen. Mir ging auf die Nerven das ich ca. 9min30sek auf einen Kilometer brauchte und hochgerechnet auf 10km heißt das über 1h30min auf 10km!!! Das sind bei 20km schon 3h und bei 28km... Ich brauche echt bessere Gedanken jetzt irgendwie... Ich motivierte mich mit dem Gedanken daran, dass auch Christiane sich freut wenn wir das Ziel erreichen und weil sie das Fahrrad nicht mit ins Stadion nehmen darf, muss sie es davor abstellen und darf mit mir ins Ziel laufen. Wir laufen so zu sagen eine Stadionrunde und gemeinsam durchs Zielbanner und ich freute mich schon sehr darauf. Ich freute mich auch für sie, dass Christiane das miterleben darf und es wird ihr sicher auch gefallen und Freude machen. 

 

Trotzdem müssen wir jetzt erst mal da hin kommen. Ich wusste gar nicht das Berlin so viele schöne Strecken hat die man laufen kann. Der Spreewald und die schönen Parkwege - unfassbar. Eine Millionenmetropole und dennoch do idyllische Plätzchen. Diese würde man wohl nie kennenlernen wenn man nicht 100 Meilen durch Berlin laufen würde. Die Partymeile in Berlin Kreuzberg bei ca. 143km war zum Einen eine schöne Abwechslung aber zum Anderen auch sehr nervig. Man musste im Zickzack durch die Touristen laufen, wurde von Besoffenen angemacht aber auch respektiert und hatte Mühe die Fahrradbegleitung nicht zu verlieren. Für mich ist dieses Rennen in der Dunkelheit ohne Begleitung kaum zu schaffen, weil die Pfeilmarkierungen einfach zu klein sind. Es handelt sich um blaue Leuchtpfeile, die mir aber einfach zu klein sind und zudem in Augenhöhe erst mal gesehen und mit der Stirnlampe angestrahlt werden müssen. Weniger problematisch die orangenen Bodenmarkierungen bei Tage. Dennoch - so gut wie in Sparta markiert wird, habe ich es noch nirgends erlebt. Ich hatte seit km 140 zudem ein weiteres Problem. Diese Schmerzen kannte ich und hatte sie bereits beim 24h Lauf in Harnau. Es waren stechende Schmerzen am linken Knie an der Innenseite - vermutlich Meniskus. Hervorragend... Das erhöhte meine Motivation nicht wirklich weil ich mich mit zwei Gedanken herumschlagen musste - eigentlich drei. 1) Sollte ich doch lieber aufgeben bzw. ganz langsam gehen um nichts zu riskieren und mir nicht mehr kaputt zu machen, auf keinen Fall das Ziel Spartathlon 2019 riskieren! Gehen tat aber durch den längeren Bodenkontakt mehr weh als tippeln oder dem Versuch "ordentlich" zu laufen. 2) Stellt sich die Frage überhaupt und hält das Knie das jetzt durch? Und 3) was mache ich bloß wenn das beim Spartathlon so kommt - das würde mich zur Aufgabe zwingen! Letzterer Gedanke ist ein Problem, weil er nach wie vor, auch nach dem Rennen, noch in meinem Kopf ist. Ich muss dieses Rennen abhacken und auch diesen Gedanken weil ich begreifen muss, dass derartige Probleme bei diesen Distanzen immer auftreten können - egal ob das bei einem Rennen davor schon mal so war oder ganz neu ist. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken und der Tatsache des verletzten Fußes, durch den ich vermutlich das Knie beleidigt habe, weil ich seit Stunden in einer unbemerkten Schonhaltung laufe. Hinzu kommt, dass ich schon seit einiger Zeit nicht mehr richtig laufe.

 

Jetzt sind es noch 13km und ich fange langsam wieder an zu laufen und bewege mich damit um 7min20sek auf einen Kilometer. Das wäre eine sehr plausible Durchgangszeit auf einen Kilometer. Ich peile jetzt eine Laufzeit von unter 20h an. Das wäre für den Spartathlon absolut ausreichend und eine gute Laufzeit für das Rennen hier. 16h waren schon lange nicht mehr zu halten und auch mit 18h dürfte es nun eng werden aber 19h sind noch drin. Leider hatte ich mich dann bei der Eastside Gallery verlaufen, weil irgendwelche Idioten die Pfeile abgemacht haben und wir nicht wussten wo lang es weiter geht. Christiane schaute auf den Plan und suchte die nächste Verpflegungsstelle, welche sich am Checkpoint Charly befinden sollte und dorthin ließen wir uns nun via iPhone navigieren. Stehenbleiben, schauen, lesen, navigieren - das kostet Zeit, Nerven, Energie und machte keinen Spaß. Eine weitere Ultraweisheit ist: Wenn es läuft, lass es laufen! Halte dich nicht ewig an Verpflegungspunkten oder mit blöden Gedanken oder derartigem Mist auf. Laufe einfach so weit und lange du kannst und achte darauf, deinem Körper stetig zuzuführen was er verlangt, bevor du wieder einbrichst. Einbrüche vermeiden und klar überlegt handeln - so viel zu "laufen ist ja langweilig". Das ist es gar nicht. Denn in dieser Liga musst du stetig auf dich und deinen Körper achten, auf Signale rechtzeitig und vor allem frühzeitig und richtig reagieren, weshalb du immer konzentriert sein musst! 

 

Und durch diesen Mist mit der Verlauferei, wurde mein Flow unterbrochen und ich war wieder am Marschieren. Wir fanden den Weg, liefen ca. 1,5km mehr, verloren 4 Positionen und all das muss man im Kopf jetzt klar verdauen. Dazu kamen eben die Knieprobleme, die Unlust und das stetige Anhalten an jeder verdammten Ampel, welche sich jetzt im Innenstadtbereich natürlich häuften. Das war jetzt nicht mehr schön, das war eine einzige Qual. Ich dachte weder an einen Endsprint, noch daran die letzten 5km schneller laufen zu können, weil die stechenden Schmerzen im Knie das zudem nicht zulassen wollten. Ich wollte das Rennen jetzt einfach nur erfolgreich beenden, weil es zum Aufgeben zu spät war, für den Kopf in Bezug auf Sparta eine Wohltat sei und ich musste aufpassen mir nicht noch mehr kaputt zu machen als schon kaputt war in Bezug auf das linke Knie und den Fuß, der mittlerweile wie taub war. Endlich waren es noch 3km bis ins Ziel und die zogen sich über 30min hin! Auf dem letzten Kilometer konnte sogar ich wieder mit schleifendem Schritt etwas laufen und dann kam endlich der lang ersehnte Zieleinlauf mit Christiane! Auf Platz 66 Gesamt mit einer Laufleistung von 20h und 43min und einem 8. Altersklassenplatz kann ich mich wirklich nicht beschweren. Das Rennen hier ist nicht leicht und es sind doch 1000 Höhenmeter - hätte Berlin gar nicht so viel Hügel zugetraut - habe mir teilweise schon eingebildet die hätten diese extra für uns aufgeschüttet um uns zu ärgern. Damit ist der letzte Härtetest vor meinem großen Vorhaben Spartathlon 2019 abgeschlossen und die letzten 6 Wochen vorm Start brechen an. 

 

Wieder einmal habe ich sehr viel gelernt und nette Begegnungen gehabt. Ich weiß jetzt das Brühe auch kalt eingerührt werden kann und das besser als keine Brühe ist. Milch und Eier, auch Kaffee können Wunder wirken. Oat Snack Riegel sind hervorragend und auch Hafermilch Schokolade ist eine tolle Sache. Außerdem bin ich mit meinen KNITIDO Zehensocken hellauf zufrieden. Ich bin die Asymmetric Compression gelaufen. Das Laufgefühl mit diesen Kompressionssocken von KNITIDO ist für mich hervorragend. Ich bin wieder einmal ohne Blasen angekommen und meine Füße fühlten sich rundum gut versorgt. Beim Ausziehen ist es besser, die Strümpfe auf links abzuziehen, so wie einen Neoprenanzug. Das schont das Material und auch die schmerzenden und gestressten Füße. Ich muss die Socken auch bei diesen langen Distanzen nicht wechseln und behalte sie nonstop an. Natürlich bin ich froh nach dem Rennen aus Socken und Schuhen raus zu kommen aber es ist auch gut Zeit damit sparen zu können, keinen Wechsel während des Rennens vornehmen zu müssen. 

Siegerehrung mit Rainer Eppelmann
Siegerehrung mit Rainer Eppelmann

Christiane und ich beim lang ersehnten Zieleinlauf. Es war mir sehr wichtig das sie diesen mit mir gemeinsam vollführen konnte. Sie musste das Fahrrad vorm Stadion abstellen und lief mit mir gemeinsam die letzten 400m ins Ziel.