Qualifikation für den Spartathlon endlich erlaufen!!!

Dieses Rennen war vermutlich das Langweiligste und Dümmste was ich jemals geplant habe. Das war mein erster Gedanke als ich die Niederlausitzhalle betrat und die 250m lange Bahn mit ihren hohen Kurven sah. Diese Kurven sind etwas höher als die Kurven auf den 200m Bahnen heutzutage....

Ich befand mich hier in einer Halle der ehemaligen DDR, die seit ihrem Bau vermutlich nicht mehr restauriert wurde. Die Halle ist mit ihrer 250m Bahn auch die größte ihrer Bauart soweit mir bekannt ist. Unebenheiten sind vorhanden, doch sieht es etwas schlimmer aus als es sich dann beim Laufen tatsächlich anfühlte. Angenehm ist jedoch anders. Und hätte ich zwischen Straße und Bahn wählen dürfen, hätte ich mich für die Straße entschieden.

 

Wie steil es tatsächlich war, kann man auf den Bildern schlecht darstellen, versucht habe ich es dennoch.

Dort angekommen, musste ich mich zunächst um was zu Essen kümmern. Ich hatte immer mehr die Schnauze voll, nachdem mir der Automat dort noch meine VISA-Karte eingezogen hatte. Ja wie soll ich denn jetzt hier ohne Bargeld weiterkommen? Der Anruf beim Kundenservice war insofern erfolglos, dass sie mir bestätigt haben, dass die Karte unwiederbringlich weg sei. Ich ließ sie sperren und beantragte eine neue.

Anschließend fand ich dort eine wunderschöne Westernbar mit gutem amerikanischem Essen. Ich weiß wohl, das gutes Essen und Amerika ist eine Sache für sich, aber in dem Fall handelte es sich um Bratkartoffeln mit Bohnen und Fleisch, einer guten Sauce und die Portion war wirklich nicht zu klein. Mehr essen hätte ich gekonnt, wäre aber vor dem 100km Rennen nicht sinnvoll gewesen. Ich schmunzelte und erinnerte mich bei netter Countrymusik wieder daran, dass das auch eine der schönen Seiten an solchen Laufevents ist. Du triffst alte Bekannte Mitläufer wieder, du erlebst die schönsten Dinge fern ab vom Sofa. Zwar war die VISA-Karte zu verlieren nicht schön, aber dieses Erlebnis vergisst Du nie wieder! Genauso wenig wie diese Bar hier irgendwo im Nirgendwo.

Die neueste Technik unten in der Halle mit Monitor und Anlage und Zeitmessung usw., aber oben im Zimmer der Sporthalle einen alten Röhrenfernseher, dafür aber mit SAT-Receiver. Du musstest den Ton des Receivers ganz schön aufdrehen um das Brummen des Gerätes zu unterdrücken. Spaß machte auch, dass ich den Unterschied zwischen Röhre und HD sehen kann. Das sieht ja selbst ein Blinder noch!

 

Am Vorabend orientierte ich mich also in der Halle, wo die Verpflegungsstelle stehen würde und ob mir die Zeitnehmer alle 5km die Zeit nennen würden. Wie soll ich ein Rennen laufen ohne zu wissen wo ich gerade war, denn die Anzeigemonitore konnte ich nicht lesen. Ich nahm meine Startnummer und den Transponder entgegen und wartete geduldig auf den Start, der am Freitag leider erst um 11:00 Uhr erfolgen sollte. Zuvor hatte ich noch ein Interview mit der Lausitzer Rundschau und ehe ich mich versah, war ich unter den Zeitnehmern und Teilnehmern bekannt wie ein bunter Hund, weil bereits am Vortag ein Artikel über mich in der Zeitung stand. Ich wollte zwei Dinge im Rahmen dieses Rennens tun: Den Hallenrekord der Sehbehinderten auf 100km für mich holen und die Qualifikation für den Spartathlon endlich erlangen, um dort starten zu dürfen. Mit diesem Vorhaben wandte ich mich an die Zeitung, weil ich jemanden brauchte, der mir die Durchgangszeiten nennen konnte. Die Zeitung schrieb wohl insgesamt drei tolle Artikel über mich, um mir die Durchgangszeiten zu nennen, dafür hatten sie weder Zeit noch Personal. Einen Aufruf an die Gesellschaft starteten sie dennoch.

 

 

Der Startschuss pünktlich um 11:00 Uhr!

 

Ich ging locker an und wollte eigentlich eine 5:20min/km Zeit laufen, das konstant über die gesamte Streckenlänge von 100km, was auf dieser Bahn 400 Runden und knapp unter 9h bedeuten würde. Natürlich muss man dann noch die Verpflegungszeiten und evtl. Klozeiten mit einbeziehen. Evtl. muss noch ein Schuhwechsel erfolgen und was einem noch so alles in dieser Zeit passieren kann. Es lief zunächst gut, ab km 5 begann ich mit der Verpflegung und war schon etwas gestresst wegen meiner Zeiten. Weil ich niemanden hatte und wir uns vor Zuschauern kaum retten konnten, das war ironisch, hatte ich folgenden Plan: Ich wollte auf meiner Uhr manuell alle 4 Runden auf die Rundentaste drücken, da ja vier Runden jeweils ein Kilometer sind. So könnte ich immerhin immer genau wissen wie viele Kilometer ich habe und wie meine Laufzeit ist. Blöd nur, dass man dazu stetig konzentriert bleiben muss und ich bereits nach Runde 5 schon nicht mehr wusste ob ich nun drei, fünf, oder am Ende doch nur 4 Runden gelaufen bin.

 

Die Zeitnehmerin sagte mir wohl alle 5km die Zeit, allerdings verpennte sie es auch gern. Wenn ich also nicht selbst hin und wieder danach fragte, erfuhr ich gar nichts, manchmal auch die falschen Angaben. Das kostete Kraft, Nerven und damit Energie, die ich für andere Dinge brauchte. 400 Runden auf einer 250m Bahn laufen ist das eine. Jetzt ist so eine Bahn aber nicht wie eine Außenbahn flach, sondern hat eben Steilkurven. Hinzu kommt, dass man sich die Bahn mit über 30 Leuten teilt, jeder versucht natürlich die Kurven tunlichst zu vermeiden und unten zu laufen. Die Kurven machen am Anfang und in einem gewissen Tempo ja sogar Spaß, nur im Ultratempo und ab 40km eben nicht mehr! Dem entsprechend gibt es enge Überholmanöver und manchmal geht man eben auch nach oben und überholt in der Kurve. Lässt es sich vermeiden, überholt man auf der Geraden. Es gab keine Zuschauer. Nicht mal Angehörige der Läufer waren dabei. 2-3 Leute konnte ich ausmachen, die ihren Läufern Support boten, sonst bis auf die Zeitnehmerin und ihr Team an der Verpflegungsstation niemand! Wenn sie wenigstens laut Musik angemacht hätten. Diese dudelte zwar vor sich hin aber mehr im Hintergrund. Wieder einmal können sich einige nicht an die Regeln halten und liefen mit Kopfhörer was mich sehr gestört hat. Gleiches Recht für alle! Ich hätte auch gern Kopfhörer gehabt und mir war langweilig. In der Sahara oder beim Taubertal 100 kann man sich wenigstens mal die Natur anschauen. Hier hast du nichts! Es ist sogar noch ziemlich düster in der Halle. Der Veranstalter begann Lichterketten für den Folgetag aufzuhängen und man kümmerte sich wenig um uns.

 

„Der erste Läufer hat nun das erste Viertel hinter sich, die ersten 25km sind geschafft!“ Ah, sie nehmen uns wahr und pushen uns! Von wegen, vergesst es Freunde! Die Ansagen wurden auf ein Minimum beschränkt. Nein wirklich, ich will nicht klagen. Ich finde es ja toll das es da Leute gibt, die sich für uns Spinner da hinsetzen und sich das antun, uns verpflegen und da sind im Notfall, alles gut. Nur, wenn ich doch da sitze, kann ich nicht ein bisschen Stimmung machen? Die Musik mal lauter oder auch andere erwähnen, die auf den hintersten Plätzen sich quälen und auch ihre Leistung bringen? Warum nur die ersten 3? Gut, einmal hat man auch mich auf Platz 10 erwähnt als ich so langsam der 50km Grenze näher kam.

 

Ich will Euch das Gefühl einfach mal beschreiben wie das ist. Du läufst 250m immer im Kreis, weißt du hast 50m rechts von der Bahn runter dein Zimmer in der Halle mit einem Bett und deiner Ruhe. Du läufst nicht von A nach B, du bleibst genau hier, wie auf einem Laufband. In meinem Fall kannst du nicht mal die Zeiten verfolgen und hast als Kulisse nichts! Hallenwände, relativ leise Musik und hin und wieder eine Ansage des Sprechers mit leerer Tribüne wo zwei Mädels sitzen die gelangweilt auf ihr Smartphone glotzen und hin und wieder nach ihren Männern schauen, mehr nicht. Der Vorteil des Ganzen ist natürlich, du wirst mental hart! Wenn du das durchstehst, schaffst du noch ganz andere Dinge. Es sind 100km die zu laufen sind und die tun weh. So oder so, egal ob Bahn oder draußen, Berg oder flach. Ich fühlte mich wie ein Rennwagen in Indianapolis auf 500 Meilen. Die fahren auch immer im Kreis. Gut, die haben Zuschauer. Um auch die andere Seite zu verstehen und zu beleuchten: Für wen sollte den der Sprecher die Ansagen machen?? Ok, uns hätte es halt motiviert als Läufer aber die meisten konnten ja lesen würde ich mal behaupten.

 

Die Verpflegung war ok, allerdings kam jetzt bei mir erschwerend hinzu, dass mein Magen nicht mehr mitspielen wollte. Bis km 50 war alles gut, die ungarische Salami, Äpfel, Wasser und Cola, auch einen Schluck Red Bull, nahm er ohne zu murren auf. Das sollte sich nun ändern. Magenkrämpfe und die Frage was jetzt noch zu sich genommen werden sollte und konnte, kam auf. Weder Salz, noch Süßes, noch Milch, noch Salami war mir recht. Ich versuchte also ab km 60 weitgehend mit Wasser, Cola, ein paar Nüssen und Rosinen mich über Wasser zu halten. Die Nahrung stellte ich ab km 70 total ein, trank nur noch, musste ständig aufs Klo. Das kostete Zeit und Kraft. Zwischenzeitlich meldeten sich jetzt auch meine Gelenke und ich wechselte bei km 60 die Schuhe, lief jetzt den Straßenschuh Ghost. Das war erst mal gut für den Kopf, ich hatte sogar das Gefühl weniger Schmerzen zu haben. Blöd aber, dass sich meine Rundenzeiten dadurch verlangsamt haben. So wechselte ich nach 20km erneut den Schuh, zurück auf den Rennschuh Alphawoolf 2.0, womit ich jetzt wieder mehr Druck hatte, schneller wurde, jedoch die Schmerzen auch wider kamen. Jetzt werde ich das noch 20km aushalten können bzw. müssen! Mir lief langsam auch die Zeit weg. Bei km 90 war ich noch unter 9h unterwegs, es lagen aber noch 10km vor mir. Ich müsste jetzt schon Gas geben und zudem sollte ich mir jegliche Verpflegungspausen oder Klopausen jetzt verkneifen.

 

Eine Wahnsinns Unterstützung war es für mich, das Paul Kruscha mit seiner Freundin vorbeigekommen ist. Die Zwei waren die einzigen die auf meinen Facebook-Aufruf, mich dort zu unterstützen, über meinen Kumpel Stefan Kruscha, reagiert haben. Zugegeben, es handelte sich auch um einen Freitag, also waren die meisten auf der Arbeit und nahmen sich für so etwas natürlich keinen Urlaub, was ich auch gut verstehen kann. Paul gab mir ab 60 km Mut, indem er mir gut zuredete, mir die Zeiten nannte und mit seiner lieben Freundin einfach da war, was mir sehr viel bedeutete und mich nochmal motivierte, jetzt wirklich dran zu bleiben. Ab km 90 konnte ich das Tempo nicht mehr wirklich anheben, nur halten. Das zeigte mir aber wiederum, dass ich mir das Rennen gut eingeteilt hatte. Ich hatte vielleicht 4 Runden Gehpause in diesem Rennen gemacht um den Magen zu beruhigen und mich zu sammeln. Ein Einbruch erfolgte nicht wirklich. Ich bewegte mich geschätzt irgendwo zwischen 5:20min/km und 6min/km, genau kann ich es nicht sagen. Ich hatte weder GPS, noch konnte ich Durchgangszeiten ablesen. Wenn aber 6min/km 10 km in einer Stunde bedeuten und ich bei 90 km noch unter 9 Stunden war, dann war ich trotz dem Zeitverlust mit Klo und Co doch gut dabei.

 

Ich muss auf dieser Distanz einfach noch viel lernen und wohl wissend, dass ein 100 km Rennen weder heißt Rennsteig plus 30 km oder Rodgau mal zwei, zwei Marathons und ein bisschen mehr, ist es einfach auch ein Unterschied ob Du 100 km von A nach B läufst mit Start und Ziel, oder diese 100 km im Rahmen eines 24h Laufs oder Etappenrennens zurücklegen musst.

 

Robert Wimmer, mein Freund, hatte zudem die Idee der Zeitung zu stecken, dass ich den Hallenrekord der Sehbehinderten laufen will. Das ist zum einen Tatsache und zum anderen brachte es mir Druck und Motivation zugleich. Druck um sich zu bemühen und Motivation, weil man mich in Senftenberg nun durch die Lausitzer Rundschau kannte, bevor ich Senftenberg kannte.

 

09h52min Gesamtlaufzeit, Top 10 gesamt, AK M35 gewonnen, den Rekord der Sehbehinderten in der Halle auf 100 km und die Spartathlon-Quali mit Medienpräsents der Tageszeitung, die gleich drei Berichte über mich verfasst hat!

 

Kann man mehr wollen, für 400 Runden im Kreis laufen?

Der tolle Zieleinlauf nach 100km mit der Vorfreude auf den Spartathlon!

 

Artikel in der Taunus Zeitung vom 9. Februar 2018