
Das war mal wieder eine wirklich hart erkämpfte Ziellinie! Ich hatte oftmals das Gefühl, diese heute nicht mehr zu sehen. Hinzu kommt, ob wohl man es als Profi eigentlich besser wissen müsste, baut man den meisten Mist....
Die Nacht der Nächte soll es sein und es heißt auch "Einmal im Leben läufst du Biel!" Eigentlich fand ich diese Stadt bei Ankunft alles andere als spektakulär und von der wunderschönen Natur in der Schweiz merkt man hier auch erst einmal nichts. Hinzu kommt, dass man durch die Nacht läuft und eigentlich zu einer Zeit startet, zu der ich normalerweise zu Bett gehe. Warum sollte ich also 100km durch die Nacht laufen, vermutlich durch irgendwelche Dörfer, die Leute schlafen und sehen tut man auch nichts? So waren zunächst meine Gedanken. Biel ist halt einer der ältesten 100km Läufe die es auf der Welt gibt, gut organisiert und daher einfach ein Muss für jeden Ultraläufer, wenigstens einmal hier gestartet zu sein. Und da ich nicht jünger werde, lange Vorbereitungsläufe für den Spartathlon ohnehin unumgänglich sind, so soll es eben genau jetzt soweit sein.
Den ersten Fehler beging ich schon mal beim Essen. Weil der Start erst um 22:00 Uhr nachts ist, muss man natürlich vorher noch etwas essen. Es sollten mal nicht Spaghetti sein und auch keine Pizza, Döner, oder ähnliches. Ein schönes Schweizer Lokal wurde es, welches sich "Les Caves" nennt. Es war gegen 18:00 Uhr und ich dachte mir, dass mir ein Raclette und ein Gordom Bleue doch vier Stunden vorm Start sicher nichts ausmachen sollte... Ein verdammt dummer Gedanke und eigentlich bin ich lange genug dabei, das auch zu wissen. Dass es so schwer im Magen liegt, hatte ich nicht erwartet. Es war nun nicht mehr zu ändern, der Start rückte näher, ich fühlte mich voll und müde war ich außerdem. Ich ging davon aus, schon locker in 5:40min/km anlaufen zu können und das klappte sogar. Nicht bedacht hatte ich den Unterschied, bei einem 24 Stunden Lauf im Laufmodus in die Nacht hinein zu laufen, oder direkt in der Nacht starten zu müssen, wo man eigentlich ins Bett geht. Man ist eigentlich gar nicht müde, aber die Leistung ist nicht so abrufbar wie man das erwartet. Ich kam die ersten 15km zwar gut zurecht, bloß habe ich behinderungsbedingt die ersten zwei Verpflegungspunkte übersehen. In der Stadt und auf den Wegen war eine Stimmung, die war unglaublich. Von wegen, schlafen! Die Leute feierten, jubelten uns zu, machten kleine Partys und das auch an den Punkten, wo es Wasser gab. Ich sah das aber durch die Nacht und die vielen Leute einfach nicht eindeutig und lief vorbei. Ab 15km dachte ich, es wäre endlich soweit und steuerte einen Tisch an, wo ich Becher entdeckte. Leider Fehlanzeige. Jugendliche machten sich einen Spaß und füllten Schnaps in die Becher. Ich erkannte das nicht und nahm einen kräftigen Schluck. Besser fühlte ich mich damit jetzt nicht, ändern konnte ich es aber auch nicht. Ca. 2km weiter gab es endlich richtiges Wasser und ich erfuhr auf der Strecke, dass ich da genauer schauen müsse und das auch angeschrieben stünde. Schön! Kann ich ja auch alles wunderbar sehen! Ich konzentrierte mich also darauf immer achtsam zu sein, wenn ich Menschenansammlungen hörte. Überall dort nämlich könnte auch ein Verpflegungspunkt sein. Später erkannte ich im Hellen dann auch die Stände an ihren weißen Dächern, was mir freilich jetzt nachts nichts half.
Ab dann kam ich aber zumindest regelmäßig an Wasser. Essen musste ich bis 60km gar nichts durch mein üppiges Abendessen. Soweit ok, bloß fühlte ich mich dadurch voll und konnte auch nicht wirklich laufen. Auch mein 5:40min/km Tempo wollte nicht mehr recht flutschen und so musste ich schon kurz vor Marathon und knapp danach viel gehen. Es regnete immer wieder und zum Teil auch stark. Die Situation erinnerte mich an den Spartathlon 2018 nur mit dem Unterschied, dass es hier heute warm war. Es war einem nie wirklich kalt, die Temperaturen nicht unter 15 Grad und kein kalter Wind. So gesehen trocknete man recht flott wieder wenn der Regen nach ließ, man war aber gut durchnässt, wenn es wieder stark regnete und stapfte von einer Pfütze in die andere. Wege standen unter Wasser und an eine Bestzeit war lange nicht mehr zu denken. Es kam eine wirklich schwere Zeit auf mich zu. Ab ca. 45km sah ich einfach keinen Ausweg mehr, kein Ziel mehr heute und hatte große Lust dieses Rennen einfach zu quittieren. Ich bin aber auch keiner dieser Schlappschwänze die ein Rennen aufgeben, weil es nicht so läuft wie man sich das erhofft hatte und deshalb wie ein kleines Kind trotzig hin wirft. Es läuft eben heute nicht optimal, die Bestzeit ist nicht drin, es regnet in einem fort, aber ich habe genug Zeit das Rennen zu finishen. Das wird zwar lange dauern, im schlimmsten Fall sehr lange, aber es wird möglich sein. Ist es möglich, wird es auch gemacht. Denn es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist! Und ich habe den Abschlussgong noch nicht gehört!
So ging es weiter durch die Nacht und es bildete sich langsam ein kleines Grüppchen von Läufern, mit denen ich mich jetzt abwechselte. Mal waren die vorn, dann wieder ich und so geht das über Stunden. Je nachdem wer grad wann welche Energie hat, läuft wieder an und kämpft. Dann geht man wieder und ist müde und hinter einem trabt der vor kurzem überholte Läufer an einem vorbei, weil er jetzt wieder einen Energieschub hat. Und weil man noch über 35km vor sich hat, in vielen Ultras sogar noch weitaus mehr, muss man jetzt nicht wirklich darüber nachdenken, ob man das bis zum Ende so durchhält oder nicht. Ob man vor dem überholten Läufer bleibt oder der einen wieder kriegt, zu früh im Rennen um diese Gedanken zu haben. Man kann das einfach nicht wissen und nur alles dafür tun, dass es klappt und man so schnell wie möglich unterwegs ist. Gespräche gab es wenig, denn hier vorn will jeder nur sein Bestes geben und ins Ziel. Klar wechselt man mal das ein oder andere Wort, stellt sich gegenseitig mal ne Frage oder tauscht ein Gel, gibt sich Wasser und achtet aufeinander, sollte einer Probleme haben. Die meiste Zeit aber ist es ruhig und manche sind so in ihrem Modus, nehmen einen zum Teil gar nicht wahr. Ich lief auf zwei Franzosen auf die sich angeregt unterhielten. Ich dachte so bei mir "Wenn die das laufen würden was sie reden, könnten sie vermutlich noch schneller sein." Ich überholte sie und sprach sie kurz an, nicht wirklich eine Reaktion. Dann überholten sie mich später wieder und als ich sie beim zweiten Mal traf rief ich "Viva la France!" Da waren sie glückselig und grüßten mich und freuten sich. Wir wünschten uns gegenseitig viel Glück, was so ziemlich das einzige ist, was ich auf französisch kann und weiter ging es. Einen älteren Schweizer traf ich später noch, als es bereits Tag war und wir wechselten kurz ein paar Worte. Ich klagte ihm mein Leid, dass ich mich wunderte, heute so langsam zu sein, er verriet mir seinerseits, er sei zu schnell angelaufen. Dennoch war er sehr gut unterwegs und ich konnte kaum Schritt mit ihm halten und musste ihn nach ca. 3km ziehen lassen. "Wir sehen uns später!" sagte er noch. Ich konnte mir das heute nicht mehr vorstellen, Ich motivierte mich damit, dass es doch hier ganz schön sei. Man läuft hier herum, sieht die schöne Natur, weil es mittlerweile hell war und gut gefüttert wurde man auch. Junge Mädels jubelten einem zu, was kann man denn jetzt mehr wollen? Bei einem Rettungszelt erbettelte ich mir noch einen schönen Kaffee, den ich schon von weitem roch und sogar meine Lieblingstorte Linzer hatten sie hier! Na also besser geht es doch nicht, auch wenn die Schmerzen langsam unerträglich wurden. Da drängt sich einem immer die Frage auf wie man Sparta je erreichen soll, da man dafür noch 146km weiter laufen muss. Die Schmerzen werden aber irgendwann auch nicht mehr schlimmer, man muss sie nur ertragen. Die Bestzeit von unter 10h war dahin. Was ich jetzt wollte war meine Ehre retten und auf 12h rein kommen. Dann hätte ich die geforderte Durchgangszeit für Sparta und das alles wäre gar nicht so schlecht und den Umständen entsprechend ein schönes Finish.
Um die 75km herum erschien aber auch dieses Vorhaben langsam unmöglich, würde ich nicht endlich mal wieder anfangen länger zu laufen. Dennoch gelang es mir bis zum Schluss immer wieder anzulaufen und das ist eben genau das, was ich für Sparta können muss. Man muss immer wieder anlaufen können und wenn man nur noch 7:35min/km schafft, ist das schneller und besser als zu gehen und zudem in Sparta notwendig, um überhaupt die Ziellinie erreichen zu können. Die Cut off Zeiten sind dort knallhart und ich habe mehrfach in meinen Berichten über den Spartathlon davon gesprochen. So ging es weiter: Laufen, gehen, laufen, gehen, laufen, gehen. Habe Geduld, sei ausdauernd und bleib locker. Mit einer weiteren negativen Sache musste ich nebenbei im Kopf auch noch fertig werden. An der Frankfurt University für die ich arbeite, wurde mir als internem Bewerber eine Stelle abgesagt. Ich habe mich intern beworben und man traute mir wohl die Position in der Buchhaltung wieder einmal nicht zu und sagte mir prompt vorm Start mit einer billigen Standardmail ab. Dabei schien das Gespräch so gut gelaufen zu sein. So viel zu Chancengleichheit, Diversity und Bevorzugung bei gleicher Eignung mit Behinderung. Im Endeffekt geht es nur darum, dass sie die Leute einstellen können die ihnen recht sind. Die besten werden genommen, Externe bevorzugt, die Behinderten unterschätzt und selbst als interner Kollege kommt man nicht zum Zug. Es ist ärgerlich und gemein und solche belastenden Gedanken setzen einem zu und rauben einem Energie. Energie, die ich jetzt fokussiert auf meinem Rennen brauchte. Ich habe oftmals keine Lust mehr gegen diese Arschlöcher zu kämpfen, mich ständig zu beweisen, ihnen klar zu machen das ich mindestens genau so gut wie sie bin. Es nervt, belastet und man verliert wirklich den Mut weiter zu machen. Man sieht auch keinen Sinn mehr. Dagegen wieder aufzustehen ist enorm schwer. Dem entgegen setze ich dann einfach wieder die Tatsachen wie gut es mir eigentlich geht, dass ich so eine liebe Freundin habe, genug verdiene um es mir schön zu machen, gesund und fit bin und hier wieder eine enorme Leistung vollbringe. Denn egal wie mich diese Penner da beim Vorstellungsgespräch abgeurteilt haben, sie könnten das hier nicht leisten. Wie viele Kollegen sind ständig krank und am Jammern, lassen sich gehen, schaffen rein gar nichts und leben einfach so in den Tag, finden lächerlich was ich tue, oder machen sich lustig über mich? Eigentlich sind sie nur neidisch, weil ich's kann! Und das werde ich ihnen jetzt einmal mehr wieder zeigen. Ich werde heute wieder mal zeigen, wer hier was leisten kann!
Also kämpfte ich mich weiter durch und ca. 5km vor Ende merkte ich wieder einmal spazierend, dass die Läufer um mich herum jetzt auch alles versuchten, wieder ins Laufen zu kommen. "Wenn die das können, kannst du das auch. Wenn du jetzt nicht mit läufst, verlierst du sinnlos sämtliche Positionen und das nur, weil du fauler Hund nicht laufen willst! Klar tut es weh! Das tut es aber jedem hier. Siehst du die anderen jammern? Die laufen und du Penner?" Naja und so lief ich halt auch, sofern man bei 7:30min/km noch vom Laufen reden kann. Es reicht um einen Spartathlon zu finishen. Es ist besser als zu gehen oder gar stehen zu bleiben und man kommt vorwärts. Und das Geile dran, man fühlt sich in diesem Moment selbst ja so unglaublich schnell. Also aufhören auf die Uhr zu schauen und den Fokus rein aufs Laufen legen. Es waren jetzt noch 3km und ich weiß wie es geht und das es gleich vorbei ist. Ich muss weder einen Endsprint machen, noch schneller laufen. Ich muss einfach nur das Tempo jetzt halten, damit ich nicht noch sinnlos überholt werde. Den Schweizer Läufer holte ich auch wieder ein und sagte zu ihm: "Es ist mir eine Ehre, dir erneut begegnen zu dürfen!" Ich konnte jetzt tatsächlich schneller als er laufen und blieb jetzt an meinem Tempo dran, hielt mit allem dran fest was ich noch zu bieten hatte. Außerdem, wenn ich jetzt gehe, komme ich nicht mehr ins Laufen zurück. Wenn man zum Schluss nochmal alles mobilisiert und dann stoppt, ist das Adrenalin verpufft. Diese Phase muss man jetzt nutzen, der Zusammenbruch kommt im Ziel. Und so kam ich nach 12 Stunden und 8 Minuten endlich im lang ersehnten Ziel an und musste wieder mal erkennen: 100km sind eben 100km.
Zweimal habe ich mich fast verlaufen und musste immer sehen, dass ich jemandem folgen konnte um die Orientierung nicht zu verlieren. Alternativ hätte ich warten müssen auf Läufer hinter mir und damit Positionen aufgeben. Manchmal ging es nicht anders. Einige Positionen konnte ich auf den letzten 5km wieder gut machen und insgesamt landete ich auf Platz 197 von 800 Startern, wobei 198 Läufer das Rennen aufgeben mussten und ihr Ziel gar nicht erst erreichten. Höchst motiviert hat mich auf meinem Weg auch meine liebe Christiane. Sie sagte mir vor dem Rennen noch: "Vergiss jetzt diese blöde Bewerbung und laufe dieses Rennen für mich! Die Hauptsache ist, wir haben uns!" Ich wollte ihr den Gefallen tun. Mich motivierte die Tatsache, dass auch sie diese 100km heute laufen wollte. Sie lief damit nicht zum ersten Mal über 100km und schaffte diese Distanz 2019 im Rahmen eines 24 Laufs in Dettenhausen. Doch heute sollte ihr erster richtiger 100ter werden. Diese arme Sau musste sich noch viel länger quälen um überhaupt ins Ziel kommen zu können. Man muss wissen, dass man in Biel echt viel Zeit für 100km hat. Man hat 21 Stunden dafür Zeit und könnte in der Zeit sogar das gesamte Rennen marschieren. Christiane ist zwar deutlich langsamer unterwegs als ich, was aber auch heißt, dass sie das deutlich länger aushalten muss. Ob man nun als erster oder als letzter durchs Ziel geht, weh tut es uns allen. Ich sage mir immer, wenn ich schneller laufe, kann ich die Zeit des Leidens dadurch verkürzen. Dann muss man das harte Tempo aber auch aushalten können. Immer wenn ich also jammern wollte, dass ich ja noch so lange laufen muss machte ich mir klar, wie lange Christiane noch laufen bzw. gehen muss. Über 18 Stunden war sie unterwegs und schaffte es schließlich, ihr Ziel zu erreichen. Ich bin extrem stolz auf sie! Dafür braucht man verdammt viel Kraft und einen eisernen Willen. So haben wir beide einen super Job gemacht und ein tolles Erlebnis mit vielen tollen Menschen aus unterschiedlichen Nationen und natürlich vorn dran, den tollen Schweizern mit ihrer super Organisation und ihrer tollen Mentalität gehabt. Im Pinzgau aufgewachsen, bin ich im Grunde meines Herzens ein Österreicher und fühle mich dadurch mit den Bayern und den Schweizern sehr verbunden. Keine vier Monate mehr und ich werde mich beim Spartathlon 2025 beweisen müssen.