Platz 27 beim Thüringen Ultra über 100km in Fröttstädt - zweimal über den Rennsteig!

Im ultrafreundlichen Thüringen gibt es einen Ultra den man unbedingt einmal gelaufen sein muss. Gunter Rothe ist Veranstalter und hat an seiner Seite ein ultrastarkes Team, die meisten davon sind selbst Läufer. Der Verein Lauffeuer Thüringen stellt hiermit eine wirklich tolle Veranstaltung auf die Beine die man neben dem bekannten Rennsteiglauf unbedingt einmal erlebt haben muss.

 

Die Strecke ist wunderschön und reizvoll, meist auf gut befestigten Waldwegen. Ich hatte die Ehre von Gunter beim Spartathlon 2018 zu diesem Lauf eingeladen zu werden und wollte hier natürlich im Rahmen meiner Spartathlonvorbereitung auch ein starkes Rennen laufen. Das es mir aber so gut gelingen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.....

Es ist 02:30 Uhr morgens in Fröttstädt als der Wecker klingelt und ich mich frage, warum ich jetzt aufstehen sollte um 100km zu laufen? Ich motiviere mich mit Fragen "Bist du ein Athlet? Willst du nach Sparta? Bist du ein Hemerodromos (Griechisch für Tagesläufer)? Grün, steil, stark und vor Allem heiß wird es heute werden. Ich trottete zum Start wo immer wieder dieselben Spinner anzutreffen sind, die genauso verrückt wie ich sind. Ich mag noch nicht so recht frühstücken um 03:00 Uhr morgens und starten schon gar nicht. Laufen alleine um die Uhrzeit schon kein Vergnügen aber 100km... Ich habe keine negative Grundeinstellung, ich bin nur grundehrlich und gebe es einfach zu, dass auch mir als erfahrenem Ultraläufer diese Gedanken kommen und zwar immer wieder. Die Sprüche wie "soll ja auch Spaß machen" mögen ihre Berechtigung haben. Für mich, der aber vorn mitlaufen will, steht der Spaß alleine eben nicht im Vordergrund. Spaß und Freude habe ich dann eher am Ende des Laufs. 

 

Der Kaffee und meine 2 Brötchen schmecken mir, auch wenn ich eine Stunde vorm Start normal nicht essen mag. Dennoch möchte ich nicht nüchtern auf die Strecke gehen und mehr essen kann man ja später auf dem Weg, der lang genug sein wird. Unter 10h währe unrealistisch bei über 2000 Höhenmetern und einer Zeit von 9h43min auf der Geraden bei 100km. Mir geht es nur drum für den Spartathlon 2019 meine Zeiten entsprechend zu halten (81km unter 9h30min, 100km unter 12h), das einfach für den Kopf. Am Anfang merkte man von der Wärme nicht viel und es waren angenehme 15 Grad. Eine super Starttemperatur und super Temperatur für eine Marathonbestzeit! Also zurückhalten und nicht überderehen, der Weg ist weit. Ich reihte mich vorn mit ein und freute mich erst mal nicht alleine zu sein, denn es war noch dunkel. Die Markierung war super und ich konnte mich gut zurecht finden. 

 

Allerdings gab es ein paar Punkte wo es schon auch für Sehende kritisch war, nicht falsch zu laufen. Ich hatte zudem mit einer super schönen Überraschung zu rechnen! Ich lernte beim Spartathlon 2018 den Aurel und seinen Supporter Micha kennen und die wohnen hier in der Nähe und sind zudem Mitglieder des Vereins Ultralauffeuer Thüringen. Die Überraschung war, dass sie sich meine Fahrradbegleitung geteilt haben und mich abwechselnd jeweils auf 50km begleitet haben! Das war natürlich superklasse, dadurch war ein Verlaufen unmöglich und ich war nicht alleine. So konnte ich mich voll auf den Lauf und das Ziel konzentrieren, den Lauf möglichst schnell und gut beenden zu können. Die ersten 37km liefen auch echt locker und ich fing rechtzeitig an Cola, ein Stück Riegel und Salz zuzuführen, weshalb ein Einbruch bei km37 erst einmal ausblieb. Normal ist das immer so ein Punkt bei dem ich zu kämpfen habe - meist das erste Mal auf langen Distanzen und beim Marathon ist das so ein Tiefpunkt. Jetzt kam der "Spaß". Ich genoss wirklich die Strecke und die Landschaft. Es bereitete mir Gänsehaut die Luft zu atmen, die Vögel zu hören, die Natur zu erleben, ja ich genoss das Rennen wirklich zu diesem Zeitpunkt. Allerdings merkte ich jetzt auch langsam die ersten Probleme. Mir tat alles weh, ich fühlte mich gerädert und das ewige auf und ab hier machte mich jetzt schon mürbe und das, obwohl noch 60km vor mir lagen. Ich beruhigte mich und schaute auf meine Laufzeit. Für Sparta passt noch alles und selbst wenn es hier nicht ganz passt, ist das insofern ok, weil das Profil hier ein anders ist als in Sparta!

 

Ich hätte mich jetzt auch etwas zurücknehmen können und den Spaß haben können von dem andere immer sprechen oder auf "ankommen" laufen können. Dumm nur wenn du vorn mitspielst... Das soll jetzt bitte nicht falsch rüberkommen oder aufgefasst werden aber die Top Läufer werden mich verstehen wenn ich sage, dass vorn der Spaß ab einem gewissen Level und Zeitpunkt ein Ende hat. Ich gebe zu, dass man sich den Druck ab einem gewissen Zeitpunkt selbst macht aber man muss auch wissen, wenn du stundenlang vorn mit dabei bist, gibst du nicht einfach kampflos deine Position auf und pfeifst drauf. Du beißt dir spätestens am Folgetag in den Hintern und ärgerst dich weil du nicht alles gegeben hast. Es ist ein Unterschied für mich überholt zu werden, weil ich nicht mehr kann und einfach nicht neidisch, sondern respektvoll dem anderen Mitläufer die Position überlasse, oder ob ich überholt werde weil ich einfach nicht mehr will. Nicht wollen und nicht können - das ist ein Unterschied. 

 

Und eben da beginnt jetzt das Drama. Willst du jetzt dabei bleiben, musst du leiden lernen ohne zu klagen. Du musst es aushalten und ertragen. Dir bleibt kaum Luft zu sprechen oder irgendwas anderes zu tun als zu laufen und das Level hoch zu halten. Hinterher wird gefeiert und gejohlt und sich gefreut aber erst mal müssen die Lorbeeren verdient werden! Du bist beschäftigt mit Verpflegung, dem Wetter, deiner Verfassung, deiner Position und dem Ertragen der noch langen Distanz, die, je länger du läufst, irgendwie immer langsamer weniger werden will. Die Temperaturen steigen und ich bin in Gedanken bei den Läufer/-innen die noch weit hinter mir sind und erst mal auf diesen Punkt kommen müssen, wo ich jetzt schon bin. Zwar begann ich ab km 50 langsam rückwärts zu zählen und freute mich nur noch einen Marathon laufen zu müssen aber der muss eben erst einmal gelaufen sein. Ich musste dann ab 73km sehr viel kühlen und war froh, dass es zahlreiche Schwämme und Wasserwannen gab. Essen konnte ich kaum, wohl aber musste ich viel trinken und Salztabletten nehmen. Hinzu kam stark dosiertes Koffein und Protein. Gern wollte ich spazieren gehen und ruhen aber ich muss mich irgendwo im die Position 30 herum befinden und die würde ich gern behalten. Ich war am Berg stets gut dabei, durfte aber bergab aufgrund meiner Sehbehinderung wieder mal Plätze hergeben. Immer dasselbe Drama. Ich könnte mithalten, kann es aber aufgrund meiner Behinderung einfach nicht. Bergab würde ich mich zu leicht verletzen. Ich kann schnell stürzen weil ich die Gefahr nicht rechtzeitig sehe. Eine Wurzel, ein Stein - schnell knickt man um, verletzt sich, alles aus, Rennen vorbei und zudem das große Ziel Sparta! Das kann ich nicht riskieren und muss mir hier an dieser Stelle eben eingestehen, dass ich dankbar sein muss überhaupt so mitlaufen zu dürfen und zu können. Mehr geht eben nicht. Dennoch alles geben und versuchen. Ich hielt bis auf wenige Gehpausen das Tempo konstant hoch, schneller ging sowieso nicht mehr. Kühlen, trinken, keine Zeit verlieren und alles schnell erledigen. Nicht ewig am Verpflegungspunkt stehen, wenn die auch dazu einladen und gut bestückt sind. Hier muss man die Prioritäten klar setzen.

 

Aus dem Wald raus und pralle Sonne, die letzten Kilometer und Fröttstädt kann man schon fast riechen! Vereinzelt überholten mich Staffelläufer aber es waren sehr wenige. Ab ca. km 40 ging es mit den Überholungen los aber gezählt waren das vielleicht 8 Läufer. So hatte ich das übliche Bild vor Augen. Die Elite nicht zu holen, die anderen hinten und ich wieder mal so gut wie alleine - um die ein oder andere Position kämpfend mal vorn, mal wieder dahinter. Starke Läufer waren es vor mir, richtige Cracks! Läufer die hier schon gewonnen haben und Läufer die in Sparta schon unter den Top 10 waren! Das ist noch eine ganz andere Liga und deren Leichtathletiktraining ihrer Kindheit kann ich nicht mehr aufholen, der ich erst seit 2010 aktiv dabei bin. Damals noch ca. 10kg schwerer und vom 1. Marathon träumend, einen Ultra nicht in den kühnsten Träumen vorstellbar, heute hier unter den ersten 30 Läufern in Thüringen, noch vor der 1. Frau im Ziel auf einem 100km Ultramarathon! Ich bin dankbar und zufrieden. Ich gab auf die letzten 2 Kilometer alles in der Hoffnung noch etwas unter 11h rein kommen zu dürfen. Platzierung musste ich nach hinten keine mehr aufgeben, konnte nach vorn aber auch keine mehr gut machen. Ich wollte einfach nur noch das Rennen gesund und gut beenden, keine Position mehr verlieren und das Tempo durchhalten. Realistisch sah ich mich nun knapp über 11h, ich hatte vergessen meine Uhr richtig einzustellen, dass die nicht bei jedem Stopp die Zeit stoppt. Da sie das tat, zeigte sie nun 10h45min an und ich stoppte ja nun für Toiletten und Verpflegungsgänge schon ab und an, wenn ich da auch nur Sekunden für beides benötigte. 

 

Optimal und mit letzter Kraft, gut eingeschätzt und stolz, erreichte ich endlich Fröttstädt und somit mein lang ersehntes und erkämpftes Ziel als 27. Gesamtplatz und 7. in meiner Altersklasse! Damit unter den besten 10%! Das gibt Auftrieb und Mut für weitere Taten. Somit kann man wieder sehen: Wer kämpft kann verlieren. Wer aufgibt hat schon verloren. Mein Kreislauf machte mir am Tag drauf noch das Leben schwer aber das ist auch bei der Belastung kein Wunder. Jetzt freue ich mich über das Erlebte und Erreichte. 

 

Ich danke Aurel Weber und Micha Oehlsen sehr für ihre tolle Unterstützung auf der Strecke, dem Orga-Team für die Organisation und Respekt und Gratulation allen Teilnehmer/-innen die das Rennen erfolgreich beendet haben und auch denen, die den Mut hatten es zu wagen und es diesmal nicht beenden konnten. 100km sind kein Spaziergang und wie schon oft in meinen Berichten erwähnt - diese Distanzen sind schwer bis gar nicht zu planen. Der Ausgang ist meist unklar. Das macht es spannend, manchmal aber auch schmerzvoll, wenn man erkennt, dass man kurz vorm Ziel eben nicht ins Ziel kommt. Individuell ist jedes  Rennen, jeder Tag, jedes Erlebnis. Eine sehr empfehlenswerte Veranstaltung unter lauter Gleichgesinnten.