Kein Spaziergang beim Taubertal 100...

Nach dem Deutschlandlauf 2017 zu glauben in Berlin knapp 6 Wochen später die 3h zu knacken und dann zwei Wochen darauf die 100km unter 10h zu laufen – verrückt oder machbar? Ich war außerdem der Meinung das Berlin lediglich eine Tempospritze für den 100km Lauf sein würde. Der Mist begann schon mit der Anreise.....

Ich hatte ursprünglich ein ICE-Ticket gebucht und stieg in den falschen Zug ein. Der fuhr zwar auch nach Rothenburg, es war aber ein Regionalzug der mich nichts gekostet hätte. Allerdings fuhr der auch länger dorthin. Die Folgeverbindung bekam ich gerade so, mit einer aufgeregten Chinesin im Schlepptau, samt Tasche der ich half noch in die Bahn rein zu kommen. Vier weitere aufgeregte Chinesen hatte sie dabei die uns hinterherliefen. Ich erwischte also meinen Anschluss und kam nach Plan in Rothenburg an. Das war schon mal gut. Die Ausgabe der Startunterlagen klappte problemlos, das Abendessen war toll, wenn auch ein wenig zu wenig.

 

 

Am nächsten Morgen um 4:00 Uhr klingelte der Wecker und ich war in 10min in Startkleidung und Richtung Frühstück unterwegs. Ich wollte von Anfang an kurz laufen. Ich packte mich nur in eine gelbe Folie ein. Es begann mit dem Fackellauf durch die Stadt, ein Ritter beauftragte uns im Burggraben, unsere Botschaften noch vor Sonnenuntergang zu überbringen. Das Spektakel, welches sich Hubert Beck da einfallen ließ, war schon toll und ist jedes Jahr wieder herrlich und hervorragend organisiert.

 

Endlich am Start bei angenehm geschätzten 14 Grad. Ich ging mit der Spitze raus und pegelte mich recht schnell zwischen 4:40min/km und 5min/km ein und  fühlte mich wohl. Mir war bewusst nicht zu schnell anzulaufen. Ich wollte aber auch nicht zu langsam laufen, weil ich mich sorgte, ich würde hinten hinaus ja nicht schneller werden und dann nur noch mehr eingehen. Baue ich also erst einmal Puffer auf und kann ab km50 immer noch reduzieren. Es lief recht gut. Ich versuchte auf jedem Verpflegungspunkt nicht mehr wie 20 Sekunden zu brauchen und ab km21 konnte ich meine Stirnlampe abgeben und in mein Drop Bag tun. Zwischenzeitlich noch ein Klo Gang, bald 30km und relativ freie Strecke. Ich lief jetzt eine Zeit mit einem Läufer und wir unterhielten uns etwas. Das Blöde an der Sache: Er war ein 50km-Läufer! Für ihn war das Rennen ab km30 bereits über die Hälfte rum und ich musste ja noch weiterdenken. Es lief gut, nicht denken, den Job erledigen, Sparta ruft, unter 10h – mehr muss ich ja gar nicht machen.

 

Km 47 kam näher und plötzlich meldete sich mein Magen. Es ging mir nicht gut. Obwohl ich mich brav verpflegt hatte und immer getrunken hatte musste ich feststellen, dass ich das was ich gern gehabt hätte, einfach nicht hatte. Ich wollte Cola die es nicht gab, Schokolade die bereits zu Ende war, Red Bull oder Ähnliches und lernte dadurch eines: Drop Bags haben ihre Berechtigung! Hätte ich nämlich in die zwei Drop Bags für 21km und 71km ein Red Bul hinterlegt oder eine Cola Dose, hätte mich das sicher motiviert und vorwärtsgebracht. Die Verpflegung war hervorragend um Gottes Willen. Aber ihr kennt das vielleicht selbst: Du brauchst jetzt unbedingt Cola, Schoko oder sowas und es ist nicht da. Was da ist, kriegst du aber nicht in dich rein. Hubert hatte da Kartoffelbrei und Suppe. Das war hervorragend! Er hatte Isotonisches Getränk, was ich gern süßer gehabt hätte, warmen Tee, Wasser und Apfelschorle. Meinem Körper war das aber alles nicht so ganz recht. Ich löffelte den Brei, aß Suppe und versuchte es mit Schorle.

 

Jetzt kam km 50 endlich näher und die Hölle für mich sollte beginnen. Es machte ab km50 weder Spaß, noch ging es mir noch gut. Ich dachte das erste Mal ans Aussteigen. Ich bin kein Aussteiger und ich steige eigentlich nur dann aus, wenn es mir wirklich gesundheitlich dreckig geht! Was Harry anfängt, das beendet er auch. Wenn 100km gelaufen werden sollen, werden diese auch zu Ende gelaufen – egal wie! So die Theorie... Die Leiste tat weh, die Hüfte schmerzte und – das Tempo schwand. Ich wurde langsamer. Ich wurde so langsam, dass ich oberhalb der 6er Pace lief! Viel zu langsam und zudem verlor ich jetzt auf jeden Kilometer mindestens 20 Sekunden! Warum auch immer, kam ich nicht mehr auf Touren. Ein Mitläufer sagte mir noch im Vorbeilaufen „Ich peile unter 8h30min an! Wenn du unter 10h laufen willst ist es drin ABER du musst reduzieren. Glaub mir, wenn es dich erst erwischt und du zu spät reagierst, ist es vorbei und du verlierst Zeit – viel Zeit. Zeit die du nie wieder aufholen kannst...“ Ja Scheiße! Unerfahren bin ich ja nicht aber ich hatte jetzt massive Probleme. Die Strecke war eigentlich gut beschildert und Oli Witzke kann da echt noch was lernen. Hier braucht man keinen Guide! ABER in der Innenstadt gab es auch hier Probleme, weil hier die Bodenmarkierungen im Kurpark nicht sein durften und die Schilder teilweise durch den starken Wind weggeweht wurden. Ach ja, der Wind. Der Wind war mein Begleiter und zwar permanent und über die gesamte Distanz hinweg bis auf die ersten 20km. Der war nicht schwach und wehte permanent von vorn wie eine Wand auf mich zu. Auf uns alle! Nur – ich war knapp 50km alleine. Bis auf 2-3 Begegnungen war ich die ganze Zeit über alleine. Wer mich kennt weiß, ich gebe niemals auf. Aufgegeben werden Briefe! Wenn ich nicht gerade mit der Nase den Boden berühre oder massive gesundheitliche Probleme habe, gebe ich nicht auf. Dieses Rennen wollte ich nicht nur einmal aufgeben. Ab km 54 gingen mir Gedanken durch den Kopf wie „steig einfach aus, es ist heute nicht dein Tag! Du hast genug gemacht dieses Jahr! Der Deutschlandlauf und dann 6 Wochen drauf in Berlin war schon gewagt. Dann zwei Wochen drauf noch einen 100ter. Ich bin müde, so müde, Wettkampf müde.“ Ich hatte absolut keine Lust mehr. Mein Puffer schwand jetzt, Meter für Meter. Kennt ihr das Gefühl? Selbst wenn du willst, einfach nicht mehr laufen zu können? Ich hätte mir gewünscht 5:40min/km laufen zu können aber, es ging einfach nicht! Ein Mitläufer kreuzte meinen Weg „Du musst dich aus dem Tief ziehen hast du mir beigebracht! Jetzt setze um was du mir beigebracht hast!“ Er hatte Recht. Aber ich kam aus diesem Tief scheint es, nicht heraus. Bei km60 dachte ich mir, es ist nicht mal mehr ein Marathon und muss doch machbar sein. Beim Blick auf die Uhr hatte ich immer noch das Gefühl im Soll zu sein, obwohl ich eine Gehpause machen musste. Ich hatte blöderweise Autostopp aktiviert... Also bleibt die Uhr beim Verpflegungspunkt stehen. Ich versuchte für die Verpflegung nicht länger wie 20 Sekunden zu benötigen. Weil ich so alleine war und mir nicht mehr anders zu helfen wusste, nahm ich das Handy raus und ließ Musik laufen. Das motivierte erst mal wieder. Trainingsmusik die mich an Trainings erinnerte und mich gedanklich zu dem Zeitpunkt zurückversetzte wo ich über die Felder lief und vom 100km Rennen träumte und es kaum erwarten konnte bis es endlich kommt. Da war es nun und ich kam damit nicht mehr klar.

 

Ich versuchte mich zu beruhigen und an Sparta zu denken, ganz fest und willens. Es half alles nichts. Ich schleppte mich Schritt für Schritt vorwärts. So ging es weiter bis ca. km 80. Es müsste doch bald die nächste Verpflegung kommen. Eigentlich bei km 81 aber – sie kam nicht. Sie kam bei km82. Ich hätte nie gedacht, dass es einem von einem Augenblick auf den anderen so dreckig gehen kann und der Kreislauf in die Knie geht. So schlimm, dass man meint, man könne die letzten 300km zum VP nicht mehr schaffen. Einem Mitläufer auf der Strecke ging es ähnlich. Der kam von hinten und sehnte sich ebenfalls nach Verpflegung. Ein weiterer Läufer kam an, sah das es mir schlecht ging und bot mir einen Riegel an. Ich nahm diesen dankend an. Durch das Stehenbleiben aber, fiel mir das Weiterlaufen und gehen schwer. Ich kämpfte jetzt wirklich mit dem Kreislauf, der andere Läufer mit dem Kreislaufproblem war bereits an der VP. Für zukünftige 100ter brauche ich definitiv die Drop Bags, um nicht nur mit der Nahrung des Veranstalters leben zu müssen aber was nützt dir denn eine Cola bei km 21? Ich hätte bei km71 eine deponieren können. Bei km82 oder km83 – ich weiß es nicht mehr genau, kam endlich der verdammte Verpflegungspunkt. Zitternd gelang ich dort hin und futterte die ganzen Äpfel einfach weg. „Hoffentlich habt ihr noch welche!“ Sie hatten und schnippelten langsamer als ich sie reindrückte nach. Suppe, Joghurt mit Chia-Samen und Suppe, dazu noch Kartoffelbrei, ein Becher Milch und Kaffee den mir die Helfer angeboten haben. Ich setzte mich bei dieser VP hin und dachte mir „Ihr könnt mich alle gern haben. Die Zeit für Sparta ist dahin, ich habe keine Lust mehr, es geht mir Scheiße und Hunger habe ich auch. Die ganze Welt kann mich! Ich esse jetzt!!!“ Und das tat ich. Dann stand ich auf und setzte meinen Weg fort. Der andere Kollege musste sich leider seinen Kreislaufbeschwerden hingeben und schied aus. Armer Kerl....

 

Der Schweizer, der mir den Riegel geschenkt hatte, war längst über alle Berge. Die Milch tat mir gut. Und euch allen zum Trotz! Komischerweise wird anderen davon schlecht, oder sie bekommen Durchfall. Ich kann Milch zu mir nehmen bei km70 und bekomme neue Kraft. Noch besser ist ein Liter Milch mit einem Ei und Landjägern dazu.

 

Ich kämpfte weiter und dachte „Du kannst es vielleicht noch schaffen, ganz knapp unter 10h zu laufen, denn du beginnst langsam wieder mit dem Laufen!“ Tatsächlich bekam ich wieder einen Schritt hin. Aber die Strecke war wellig hoch und runter, der Wind nervte, ich tat halt was ich konnte. Ich sehnte mich nach km90 und endlich kam dieser auch. Ich wurde nochmal wach, mein Handy gab dafür jetzt den Geist auf. Es war leer. „Super! Du Depp! Wenn jetzt was ist hast kein Telefon und wie sollst dich später ins Hotel navigieren lassen??“ Pech. Jetzt musste ich erst mal dieses Rennen zu Ende laufen. Denn eines war klar, aufgegeben wird jetzt erst recht nicht mehr. Bei km50 wollte ich raus, bei km71 auch. Verlockend der Zieleinlauf und die Option aufzuhören. Wenn dann noch einer da steht und meint „Jetzt ist aber langsam genug, kannst aufhören gell!“ So ein Zuschauer, der nicht peilte, dass es noch weiter ging für uns, dann muss man hart zu sich selbst sein, nicht stehenzubleiben.  Das setzt sich nämlich im Kopf fest! Wenn du 100km meldest, läufst du diese auch. Ich sehe es jedes Jahr in Rodgau beim 50km Rennen. Einmal dieses „Ach heute nicht, 30km tun es auch usw.!“ Dieses Läufer Mimimi... Einmal damit angefangen, das zieht sich durch dein ganzes Leben. Das fange ich gar nicht erst an. Aufgeben ist keine Schande, wenn es Probleme gibt. Eine Aussage wie „Ich bin bei 71km raus weil ich fertig war. Aber ich hätte noch laufen können...“ Hä??? Du hättest laufen können? Und warum tust du es nicht – du Penner? Nicht der Weg von Harry. Was Harry beginnt, macht Harry auch zu Ende. Bei km95 gab es tatsächlich Cola! Echte Coca Cola!!! Ich hätte den Kollegen am Stand am liebsten geküsst! Der rief nur „Ne Ne bitte nicht! Ich gebe dir die Cola auch so!“ Die letzten 5km und ihr könnt euch nicht vorstellen wie schön das ist, wenn du bei einem 100km Rennen weißt, du hast nur noch 5km zu laufen....

 

Es lief jetzt wieder, wenn auch nicht mehr großartig schneller als 5:40min/km. Ich kämpfte und wollte so weit es nur möglich war an die 10h und darunter laufen. Es ging wieder bei km98 hoch und auch wieder runter. Leider hatte ich die Kraft nicht mehr, wirklich Tempo runter zu machen. Die Knie meldeten sich und auch der Schien Splint links. Der konnte mir jetzt aber nichts mehr anhaben. Ich bin nur froh, dass ich nicht die dünnen Rennschuhe angezogen habe. Mit dem Hyperion hätte ich mir richtig weh getan und danke Kurt auf Knien und auch Robert Wimmer, dass die mir davon abgeraten haben. Das Ziel kam nun näher, ich arbeitete schon seit Stunden mit den Armen mit und schob mich nach vorn wie nur irgendwie möglich. Trotz Kennzeichnung standen mir in der Stadt wieder zwei doofe Mädels im Weg. „Vorsicht Spitze!“ Interessierte die Damen nicht, schob ich mich dran vorbei. Und weil ich grad eine der beiden so schön in der Hand hatte, konnte ich mich ja wunderbar von ihr wegdrücken und Speed aufnehmen. „Ja spinnt der?“, rief die mir noch nach. Ich fokussierte nur noch das Ziel. Endlich war es da und ich kam in 10h24min glücklich dort an.

 

Ganz klar frustrierte es mich nicht die Quali für Sparta geschafft zu haben. Es war die letzte Chance und ging es doch schon beim 24h Rennen in Dettenhausen 2015 schief. Ich war aber vor zwei Wochen in Berlin am Start und lief dort den Marathon im Rahmen der Deutschen Meisterschaft auf Limit. Eine gezielte Vorbereitung auf 100km wäre was Anderes gewesen. Auch ist es ein Unterschied, einen 40km Trainingslauf zu machen. Nach dem Deutschlandlauf und dem Marathon am Limit die 100km bei Wind und welliger Strecke und in Anbetracht dessen, dass es mein erster 100ter außerhalb von einem Etappenrennen oder einem 24h Rennen war, in dieser Zeit zu laufen, muss erst einmal gemacht werden. Ärgerlich mit Sparta in der Tat. Aber ich habe jetzt Erfahrung auf der 100km Distanz sammeln können, weiß mehr über die Renneinteilung und wo die Einbrüche bei mir stattfinden Bescheid und weiß um den Nutzen der Drop Bags. Blöd ist nur, mit der Sehbehinderung diese schnell und gezielt zu finden. Verpflegungspunkte sind zum Verpflegen da, nicht um Urlaub zu machen. Dort muss es so schnell wie möglich gehen. Ich brauche auf der Strecke schon genug Zeit damit, die Orientierung nicht zu verlieren und zurecht zu kommen. Da muss ich nicht noch am VP sinnlos Zeit lassen.

 

Ich gebe ja jedem Lauf gern ein Motto. Dieser bekommt das Motto „Kein Spaziergang“. Weil es definitiv nicht mal eben möglich ist, 100km unter 10h zu laufen. Wenn ich meine Durchgangszeiten sehe und sehe, dass der erste Marathon in 3h30min ca. gelaufen wurde, ich mir klar mache, dass manch einer sich wünschen würde, er könne einen Marathon in dieser Zeit überhaupt finishen, ist das schon jammern auf hohem Niveau. Und das hübsche Burgfräulein, was mir das Bier und die Medaille im Ziel reichte, während mich der edle Herr zum Ritter schlug, ist in Wahrheit noch viel hübscher als auf dem Foto. Ja, diese schöne Meid existiert tatsächlich! Und ich kniete mich sogar nach 100km noch extra vor die Beiden hin, auf das Kopfsteinpflaster. Helden tun, was Helden tun müssen....